Mittwoch, 16. Dezember 2009

Weihnachtswerkstatt


Als meine Schwester und ich kleine Mädchen waren, gab es zu Weihnachten jedes Jahr wundervolle, selbstgebastelte Geschenke. Es ging bereits Anfang Dezember damit los, dass wir jeden Tag eine kostbare Kleinigkeit aus dem Adventskalender enthüllten – und setzte sich unterm Weihnachtsbaum fort. Was gab es da nicht alles zu entdecken: einen Backofen mit Blechdosen als Herdplatten, Puppenbetten, deren Deckchen mit denselben Stoffen bezogen waren wie unsere eigenen Kinderbetten, Schränke, Tisch und Hocker für die Plüschfamilien. Und irgendwann sogar ein echtes Puppenhaus, das sah aus, wie unser eigenes.

Für all diese wundervollen Basteleien war unser Vater verantwortlich; abgesehen von allem, was mit Nadeln gestrickt oder an der Nähmaschine entstanden war, dahinter steckte unsere Großmutter. Die, bei der wir nach meiner Erinnerung selten öfter waren als einmal im Jahr: am zweiten Weihnachtsfeiertag. Um Geschenke abzuholen und Schokoladenkringel direkt aus dem Baum zu essen. Mit glücksverschmierten Gesichtern, da es so etwas bei uns nicht gab.

In seiner Weihnachtswerkstatt hatte unser Paps heimliche Helfer. In der Adventszeit ging an jedem Wochenende, kurz nach Anbruch der Dunkelheit, ein Licht in seiner Bastelstube an. Meine Schwester und ich konnten es sehen, denn die Holzwerkstatt war gegenüber unserer Wohnräume, auf der anderen Seite der Terrasse – und ab Ende November hingen wir jedes Wochenende ab dem späten Nachmittag im Wohnzimmer auf der Couch, und warteten auf den plötzlich aufflackernde Schein.

Oder, um ehrlich zu sein, warteten auf die Engel, denn wir hofften vor allem, einer von ihnen möge unaufmerksam genug sein, damit wir auch nur einem seiner Flügelschläge gewahr werden könnten. Die Engel waren es, die das Licht in der Papi-Werkstatt anmachten, um ihm zu signalisieren, dass sie nun Zeit hatten, ihm bei unseren Weihnachtsgeschenken zu helfen.

„Wieso dürfen wir nicht mal mitkommen, die Engel begrüßen?“, fragten wir Mädels meinen Vater, hüpften und sprangen um ihn herum und bettelten, er möge uns mitnehmen in seine Werkstatt. „Weil die Engel der Weihnacht sich den Kindern nicht zeigen“, sagte er sanft, strich uns über die blonden Schöpfe und verschwand, um stundenlang zu basteln, zu sägen und zu schrauben, in der kleinen, holzstaubigen Werkstatt, die den Rest des Jahres ihren Zauber für uns Mädchen nicht verlor.

Einen Tag vor Weihnachten hatte unsere Kinderfrau Geburtstag und jedes Jahr übernachteten meine Schwester und ich dort vom 23. auf den 24. Dezember. Unsere Eltern holten uns erst am frühen Nachmittag für den Kindergottesdienst ab und wir wussten, diese letzten Stunden vor dem Heiligen Abend gehörten meinem Vater und den Engeln. Während meine Mutter das Essen vorbereitete und letzte Plätzchen buk, stellten sie die Geschenke fertig und ich war mir sicher, dass unser Paps den Engeln die Weihnachtstanne aufstellte, da sie selbst nicht kräftig genug dafür waren.

Während wir vier anschließend in der Messe saßen, gesellte sich daheim das Christkind zu den Himmelsboten und half ihnen, unseren Baum zu schmücken. In jedem Jahr wurden sie fertig, kurz nachdem wir aus der Messe nach Hause zurückkamen – das Klingeln ihres kleinen Glöckchens bedeutete uns den Moment, da wir das Weihnachtszimmer betreten durften, zum ersten Mal den Baum sehen, der uns ehrfürchtig machte und glücklich.

Mein Vater freilich war in dem Moment nie dabei, er eilte uns voraus unter den Christbaum, um sich bei den Engeln noch einmal für ihre Hilfe zu bedanken. Wenn er zu uns zurücktrat, dann strahlte er, wie bezaubert – und auf seinen Schultern funkelte der sanfte Goldstaub der Himmelsboten.

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Später irgendwann, in ein paar Jahren, werde ich am Ende jedes Novembers losziehen und Zeitschaltuhren kaufen. Ich werde dem Mann, der dann der Eine sein wird, der meine, im Winter eine Hütte in unseren Garten stellen, in der an jedem Sonntag gegen Nachmittag das Licht angeht – und unsere Kinder werden glücklich und rotbackig durchs Wohnzimmer hüpfen und rufen, „Papi, die Engel sind da!“

Und der, der ihnen so gerne der weltbeste Opa gewesen wäre, wird auf seiner schneebedeckten Himmelswolke sitzen und nicken – und er muss es wissen. Denn er wird sie uns von dort oben schicken, jedes Jahr. Damit sie unsere Weihnachtszeit mir ihrem sanften Glanz erleuchten. Und wird so bei uns sein, unter jeder Tanne, in jedem Wohnzimmer und an jedem Weihnachtsfest.

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