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Mittwoch, 11. September 2013

Dienstag, 27. August 2013

Samstag, 19. Juni 2010

Unquiet Song



need the speed
need the wine
need the pleasure
in my spine


[Leonard Cohen]

*



Donnerstag, 10. Juni 2010

…because there’s beauty in every moment


If I lay here 
if I just lay here
would you lie with me and just forget the world?
Forget what we’re told
before we get too old
show me a garden that’s bursting into life.
Let’s waste time… 
[Snow Patrol] 

*



 

Samstag, 15. Mai 2010

A Place called Home

Vielleicht werd ich eines Tages wach und ich werd’ sagen,
es ist schön in deine Augen zu sehen.
Denn ich war lange unterwegs,
doch jetzt ist es Zeit mal was zu wagen,
ich mein ich bin sehr gern allein –
doch es ist so schön, so schön, so schön Zuhause zu sein.



[Gisbert zu Knyphausen]

*


  

Samstag, 8. Mai 2010

That’s a lot to carry

All these years 
feeling 
small and misplaced
has made you
glow in the dark.




[Tina Dico]

*



Montag, 3. Mai 2010

…still there when you open your eyes


Obwohl ich zurzeit ohne den Einen unterwegs bin, hat es in meinem Leben natürlich schon die eine oder andere Liebe gegeben. Eine erste Liebe, die noch nichts wusste von der Welt. Eine unglückliche Liebe – auch wenn es vielleicht gar keine gewesen ist, ich den Zustand nur einen langen Moment dafür hielt. Eine große Liebe, wild und mächtig, die irgendwann unglücklich wurde und alles beschwerte, bis ich sie verscheucht habe und mit einem großen Besen aus der Welt gekehrt. Eine schwärmerische Liebe, irgendwann gewesen, gefühlt. Eine Liebe ganz für mich allein, von der niemand wusste, die nie erwidert wurde; es hätte ohnehin nur ihren Zauber zerstört.

Bereichert wurde mein Leben von jeder dieser Lieben, an Glück, an Erfahrung, an Schmerz, an Lachen, an Tränen und einfach an Tagen, die ich unter ihren Einfluss stellte. Manchmal erinnere ich mich an sie. Manchmal sehne ich mich nach ihnen. Oder nach einer neuen Liebe.

Nun ist es mit der Liebe aber so eine Sache, denn sie lässt sich nicht befehlen, einfordern oder herbeizaubern. Irgendwie ist sie zwar ohnehin immer da. In den Herzmenschen, die Bedeutung im eigenen Leben haben, ihm Bedeutung geben. In der Sonne, die sich im Heimatfluss spiegelt. Den Wörtern. Der Musik, die ein Echo in uns hervorruft. Babylachen. Schnee. Geburtstagskerzen. Dem Ausgleich in der 93. Minute. Einem Film, dessen Geschichte uns bewegt.

Aber diese Lieben sind anders als die eine, spezielle. Geteilt mit dem Menschen, dessen Bedeutung für einen selbst ungleich größer ist als für jeden anderen, dessen Weg er kreuzt. Der eine Mensch, dessen Gesicht uns als erstes in den Sinn kommt, wenn wir vor Freude tanzen wollen. Vor Stolz platzen. Oder vor Schmerz weinen, bis unser Seelenbrunnen kein Wasser mehr hält. Diese Liebe ist vielleicht auch deswegen so anders, weil sie nicht von Anfang an existiert, wie die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind oder der Schwester zum neuen kleinen Bruder. Und vielleicht ist sie deswegen auch so sehnsüchtig, vielleicht rührt daher unser Wunsch, in ihr von einem anderen Menschen gefunden zu werden.

Aber wie sollen sich zwei entdecken die gar nicht suchen? Beinahe scheinen diese Zufälle unmöglich. Und doch, ab und an glaube ich, im alltäglichen Getümmel ein Vielleicht zu erkennen, trotz Such-Verweigerung. Einen, mit dem ich es mir vorstellen kann, zumindest für einen kostbaren Moment, so etwas wie Liebe, vielleicht. Meistens ist der nächste Herzkopfschritt schnell getan, ergründen, erfühlen, in sich hinein horchen, ob da mehr ist als ein Vielleicht –  etwas, wohinter man ein Ausrufezeichen setzen, das man wagen möchte – und der andere mit. Meistens ist das nicht so. Liebe ist eben nicht alltäglich; das ist so banal wie wahr.

Im Wissen darum kann es passieren, dass man ein Vielleicht nicht loslässt. Sich an den Gedanken klammert, dieses Gefühl – das doch nicht wahrhaftig ist; es nicht gehen lassen will – mag sein aus Angst, etwas unwiederbringlich dabei zu verlieren. Auch ein Vielleicht ist ja nicht alltäglich. Schnell wird der andere so zur Projektionsfläche für die eigenen Gedanken und Gefühle. Und man klammert sich an eine Vorstellung, aus Angst, der wahre Moment wird vielleicht nie passieren. Es liegt ja auch ein Charme in der Projektion, darin, sich ein neues Finale für Geschichten auszudenken, deren Ende längst geschrieben ist – unberührt von der Realität.


Wer aber über seiner Träumerei eingeschlafen ist, wird den Moment verpassen, in dem das Leben die Phantasie einholt. 

*




Samstag, 3. April 2010

Unbemerkt


Ein Abschied wirft keine langen Schatten. Und hinter dieser Wahrheit verbirgt sich ein Teil des Schmerzes, der ihm innewohnt. Weil wir nicht begreifen, was wir haben, bevor es uns verloren geht. In einem Moment, den wir erst dann wahrnehmen, wenn er [uns] zerbricht.

***

Das Leben hatte es gut gemeint mit Thalmut Kirchner. Als erste Professorin ihres Fachs hatte sie an der Universität ein Institut aufgebaut, das nun ihren Namen trug. Die Kollegen schätzten ihre Fachkompetenz, die Studierenden schauten zu ihr auf – und neben den beruflichen Erfolgen, hatte sie in den letzten Jahren den einen oder anderen Flirt mitgenommen. Und sich so bewiesen, dass Erfolg auch in ihrem Alter noch sexy machte. Ihr Mann, der ihren Aufstieg stets unterstützt hatte, vermisste die gemeinsamen Abende mit Thalmut, doch stets fand sie neue Ausreden, warum sie ihn immer wieder versetzte.

Hätte sie gewusst, dass Joachims Herz, gleich einer Küchenuhr, festgestellt war auf den einen Moment, in dem es Alarm schlagen – und anschließend verstummen würde. Hätte sie geahnt, dass alle Erfolge ihr länger erhalten bleiben würden als die Zweisamkeit mit ihrem Mann – vielleicht hätte sie aufgehört, seine fragenden Augen zu ignorieren. Und in seinen Armen die lang verblasste Nähe zugelassen, die sie später, für Jahre, vergeblich an seinem Grab suchte.

Damals, in der vierten Klasse, saß Peter immer neben Klara. Er sprach kein Wort, während er den ganzen Vormittag an ihrer Seite verbrachte, weil er nicht wusste, was er sagen konnte, um ihre Aufmerksamkeit für jetzt und immer zu fesseln. Tagelang verbrachte er damit, nach dem perfekten Satz zu grübeln, doch so lange ihm der nicht einfallen wollte begnügte er sich mit einem breiten Lächeln, das er ihr jeden Morgen schenkte, wenn sie auf dem Stuhl neben dem seinem Platz nahm.

Hätte er gewusst, dass Klaras Vater für eine Firma arbeitete, die ihn und seine Familie häufig versetzte. Hätte er geahnt, dass der Platz neben ihm eines Morgens einfach leer bleiben würde, ganz ohne Vorankündigung – vielleicht hätte er sich mit einem Vorboten des perfekten Satzes begnügt. Anstatt nach jenem Dienstag, an dem Klara nicht mehr kam, fassungslos stumm zu bleiben neben dem leeren Stuhl. Bis die Schulglocke ihn um die Mittagszeit erlöste und er auf dem Heimweg heimliche Tränen weinte, um all die Sätze, die er nur gedacht, nie aber ausgesprochen hatte.

Brigitte kam aus einem strengen Elternhaus, doch wenn man sie nach den Bedingungen ihrer Herkunft fragte bekam man die simple Auskunft, es habe ihr nicht geschadet. Die eitle Strenge gab sie als Mutter an ihre drei Töchter weiter, von denen sie nie weniger als absolute Perfektion einforderte – ganz so, wie sie es selbst einst Zuhause erlebt hatte.

Hätte sie den Schmerz zugelassen, den ihre eigene Kindheit ihr tief in die Herzfalten geschnitten hatte. Hätte sie geahnt, um wie viel sensibler als die Schwestern, oder sie selbst, Hannah gestrickt war – vielleicht hätte ihr Herz im Umgang mit dem jüngsten Kind die sanftmütige Liebe gelernt, nach der die Kleine sich sehnte. Und sich so den Anblick verhindert, von baumelnden Füßen, sechzig Zentimeter über der Erde. Und einem schmalen Hals, blau vom zerrenden Strick.

***

Als du zum ersten Mal einen Schritt zurückgestolpert bist von dem, was zwischen uns war, hat sich mein Stolz vor die Regungen meines Herzens geschoben. Und als du mir fragenden Blickes immer weiter abhanden kamst, habe ich ins Meer deiner Augenblicke gelächelt und behauptet, dass uns nichts verbindet, was die Ufer der Alltäglichkeit zu fluten vermag.

Hätte ich in dieser einen Nacht gewusst, es würde die letzte sein, die ich in deinen Armen verbringe, deinen Kopf an meiner Schulter, deine Hand fest um meine geschlossen. Deine Brust an meinem Rücken, deinen ruhigen Atem in meinem Nacken – vielleicht wäre ich all diese Stunden neben dir wach geblieben, dir zu lauschen; diesen letzten Moment zu genießen. Bevor der eine kam, der uns trennte – und dem ich noch ins Gesicht lachte, als wäre nichts dabei.

*



Sonntag, 7. März 2010

Sauerstoffbläschen

Am Ende waren sie zu dritt. Er, sie – und die Angst: vor dem Scheitern. Dem alleine sein. Die Angst davor, zu früh aufzugeben. Die Angst auch, sich immer wieder verletzten zu lassen – und dabei selbst zu verletzen. Angst, sich leerzulieben. Totgeliebt zu werden. Die Angst, dass das niemals aufhört.

+ „Ich kann so nicht weitermachen.“
- „Ich kann ohne dich nicht leben.“
+ „Das macht mich kaputt.“
- „Nur mit dir bin ich glücklich.“

War es alleine ihre Angst – oder war es auch seine? Hatten sie je einen gemeinsamen Kampf gefochten, oder war das nur sie, immer wieder – und immer umsonst, scheinbar. Wenn sie nachts in seiner Nähe lag, nie ganz bei ihm, weil er mehr Raum brauchte als sich einstellen wollte zwischen ihnen, spürte sie ihr Herz, das kaum noch schlug, bloß flimmerte.

+ „Ich will das nicht.“
- „Ich brauche das.“
+ „Du tust mir weh.“
- „Du tust mir so gut.“

Zu dem flimmernden Herzen gesellte sich bald auch eine flatternde Lunge. Neben dem Raum, der zu eng war, wurde ihnen die Luft zu knapp. Anstatt zu teilen, hat er sie weggeatmet, mit weit offenem Mund und geblähtem Brustkorb, bis sie ganz blau war im Gesicht, weil kein Bläschen Sauerstoff mehr durch ihren Körper wanderte. Und das langsame Ersticken begann.

- „Ich bestimme das so.“
+ „Ich fühle mich unwohl damit.“
- „Haben wir es nicht schön zusammen.“
+ „Du hast es gut an mir – und ich?“

Sie grübelte darüber nach, wo sie einander verloren hatten, bis es in ihrem Kopf anfing zu bluten und dicke, schwarze Tropfen aus ihrer Nase liefen. Mit denen konnte sie nichts weiter als alleine sein – und hat sich so für eine kleine Ewigkeit weggeschlossen. Die Angst ist geblieben in dieser Zeit, mit kalter Hand kratzte sie ihr an den Magenwänden. Sie erbrach sich so lange, bis alles in ihr verätzt war und sie einen Grünstich bekam.

- „Du kannst mich nicht verlassen. Und das weißt du auch.“
+ „Du kannst nicht ohne mich sein. Das habe ich verstanden.“
- „Komm zurück zu mir, wohin du gehörst.“
+ „Ich werde da sein, doch ich bleibe nicht.“

Dann ist ihr zuerst das Herz stehengeblieben. Und danach die Lunge geplatzt. Der Grünstich hat zugenommen, ist schließlich immer dunkler geworden, bis sie schimmernd auf dem Bett lag und durch ihr Blut, das immer noch dick und schwarz über ihr Gesicht lief, die Decke sah wie einen Haufen düsterer Schlieren.

Drei sind einer zu viel. Das hatte sie längst begriffen. Nicht aber, wer hier zu wem gehörte. Das kam dann. Sie hat gewartet, bis die Sonne untergegangen war, an jenem Tag. Dann ist sie barfuss zu seiner Wohnung gelaufen und hat ihm die Angst zurückgebracht, die er bei ihr abgeladen hatte. Auf dem Rückweg ist sie gehüpft, erst ganz vorsichtig, dann immer schneller, höher, mit Lachen und Musik – so, wie ihr Herz die Zeit vor ihm erinnerte.

*


Montag, 10. August 2009

Anbaggern für Vollidioten


Flirten ist auch nicht mehr das, was es mal war. Nämlich anständiger Spaß, der ein bisschen Mut erfordert und Kribbeln im Bauch bringt. Aber wir werden ja alle immer komplizierter. Deswegen ist es auch so schwer geworden, einfach mal jemanden anzusprechen, der einem beispielsweise im Biergarten aufgefallen ist. Könnte ja peinlich werden – und peinlich, das geht gar nicht.

Macht aber alles nix: es gibt ja noch das Internet. Unendliche Flirt-Weiten. Und jede Menge Singles, die genau wissen, was sie wollen; zumindest so in etwa. Den da mal abchecken. Die da mal kennenlernen. Bisschen mailen – herrlich ist das, muss man gar nicht mehr die Wohnung für verlassen, kann man direkt daheim unglaublich viele neue Leute kennenlernen. Vielleicht sind das in Wahrheit zwar totale Spinner, Langweiler oder Axtmörder. Aber macht auch nix, denn die meisten bekommt man doch eh nie zu Gesicht.

Den Internetflirtern, die es nun komplett verlernt haben, auf der Straße einfach mal so jemanden anzuquatschen, hat die Bekleidungsindustrie eine Hilfe zur Hand gegeben: herrlich kecke Mottoshirts. Gar nicht lange rumlabern, einfach alles, was wichtig ist, direkt vorne drauf auf die Brustbekleidung. Funktioniert prima. Habe ich gerade am Wochenende wieder erlebt. Da kam mir ein Mädel mit einer ziemlich beeindruckenden Oberweite entgegen, auf der prangte der Spruch: „Die beiden haben heute Ausgang“. Ich wusste jetzt nicht so genau, ob das eine Aufforderung zum Tanz war oder der Versuch, dem Gegenüber Angst zu machen – aber andererseits war das ja sicher auch nicht an mich gerichtet.

Dann schon eher der coole Typ mit den zurückgegelten Haaren, von dessen in schwarze Baumwolle gehüllter Brust es mich in neon-pink anschrie: „Baby, get back to work and do your Blowjob“. Zum Glück hatte ich meine Sonnenbrille auf, so dass ich seinem Versuch eines Blickkontaktes aus dem Weg gehen konnte. Wer fühlt sich von so was angesprochen? Ebenfalls sehr nett: „Single für eine Nacht“ – das freut sicher auch den Freund, wenn er am nächsten Tag in die Stadt zurückkehrt und dieses Shirt seiner Liebsten in der Tonne mit der Dreckwäsche ganz obenauf findet. Daneben vielleicht zerknüllt ihr heißester Schlüpfer – aber wer wird sich denn da gleich Gedanken machen.

Natürlich war das längst nicht alles. Neben den sehr bemühten Versuchen eines Brust-Satzbaus begegnen mir auch Menschen, die sich offenbar gerne mit einem einzigen Wort beschreiben lassen – und zwar aussagekräftig: „Miststück“, „Schlampe“, „Fickgott“ und „Geilomat“ sind unter anderem bei mir hängen geblieben. Nicht direkt genug? Aber bitte sehr. Es geht natürlich noch schärfer. „Suck my dick“, fordert stumm die Brust eines Typen in meinem Alter, der ohne das Shirt vielleicht sogar einen netten Eindruck gemacht hätte. Vielleicht sollte er sich mit der kleinen Rothaarigen zusammen tun, die uns entgegen kommt und deren Shirt die Worte „Horny Bitch“ zieren. Ich bin sicher, die beiden hätten ihren Spaß.

Ob sie sich auch etwas zu sagen hätten, sei mal dahin gestellt – aber ewig lässt sich eine solch stumme Verständigung ja nicht fortsetzen. Spätestens wenn die zwei alleine sind, kommt irgendwann der Punkt, an dem sie sich unterhalten müssen – sei es vielleicht auch erst, nachdem sie sich im Bett stumm, aber rhythmisch miteinander beschäftigt haben. Wenn sie dann also nackt in jeder Hinsicht nebeneinander in den zerknüllten Laken liegen, ohne den Schutz ihrer Brustbuchstaben, werden sie da tatsächlich ein paar Worte wechseln? Oder müssen sie dafür erst wieder zurück an den heimischen Rechner, um sich gegenseitig zu googeln – und dann online miteinander zu chatten? Vielleicht haben sie aber auch vorgesorgt, und können sich stumm gegenseitig mit dem Shirt für den Morgen danach vor der Nase herumwedeln…

*


Freitag, 13. März 2009

Retrospektive: Sistierung


Und dann bin ich eingeschlafen. Einfach so, an deinem Knie, beim hochplatonischen DVD schauen. Müde vom Wein, müde vom Leben. Müde vor allem von dem Versuch, dich nicht immer wieder irgendwie doch zu lieben, ohne zu wissen warum.

Es gab keine „die eine mehr“, an diesem Abend. Und das schon seit mehr als einer Woche – ungewöhnlich, fast. Und „den einen“ hatte es länger nicht gegeben – schon gar nicht mehr seit dir. Weil mein Herz schlägt an dem, was ist, und nicht sein will; darf.

Es hatte sich wieder die verdammte Vertrautheit eingeschlichen, ungebeten Platz genommen zwischen uns, wo sie sich so wohl fühlte wie ich mich an dir und du dich an mir – und doch nie genug. Du hast mich schlafen lassen, bis der Morgen graute. Dann bin ich aufgewacht und wollte mich davon schleichen. Du bist wach geworden, ich habe deinen Blick auf meinem Rücken gespürt, als meine Füße lautlos in die Schuhe schlüpften. „Das ist mir ja jetzt schon ein bisschen peinlich.“ „Peinlich, ach was, ist doch nichts passiert!“

Ach, du Narr... Wirst wohl nie begreifen, dass so viel mehr zwischen uns passiert in solchen Nächten, als den anderen, in denen wir aneinander schwitzen und miteinander raufen – aber dabei doch so viel weniger teilen.

*


Freitag, 16. Januar 2009

Kopf [Stand]


Als sie ihn gesehen hat, ist ihr Kopf stehen geblieben. Ihr Herz ist alleine weiter gelaufen und hat dabei so laut mit den Flügeln geschlagen, dass ihr Kopf ein einziges Dröhnen gewesen wäre. Konnte er dabei aber gar nicht sein – denn er war ja stehen geblieben. Und ihr Herz mit ihr alleine unterwegs, so plötzlich.

Als sie dann vor ihm steht weiß sie, dass ihr Blick alles von ihr verrät, obwohl er seinen Augen aus dem Weg geht. Augen, von denen sie vergessen hat, in welche Farbe sie getaucht wurden. Weil sie nie lange genug schauen konnte, um sich das zu merken, denn mit seinem Blick hält er sie allzu schnell gefangen; sie muss seinen Augen also ausweichen – oder in sie hineinfallen. Gerade aber verbirgt er diese selbst, indem er sie schnell und fest in seine Arme zieht. Ihre Körper berühren sich wie verboten an kostbaren Orten, während sie seinen Geruch aufsaugt, als hielte er sie am Leben.

In ihren Gedanken herrscht Stillstand, auch wenn ihr Kopf zurückgekommen ist. Wie ein fehlendes Puzzleteil fügt der sich nun zwischen seine Schulter und den Hals, unter dessen warmer Haut sie jeden Schlag seines Herzens spüren kann. Sie hatte ihn doch vergessen, endlich... Nun aber liegt sie in diesen Armen, über die sie kaum mehr weiß als von dem unbekannten Boden, auf dem ihre Füße stehen, ein wenig wackeliger nun als wenige Minuten zuvor. Und inhaliert ihn, scheinbar seit Stunden schon, in Wahrheit aber nur für die Kürze eines Momentes, der noch dazu flüchtig auszusehen hat. Als sie sich voneinander lösen, öffnet sie die Augen und merkte so erst, dass diese zuvor geschlossen waren. Und hat dennoch alles erkannt.

Nun aber sieht sie, während beide auseinanderweichen, fast ein wenig erschrocken, über seine Schulter, die sich viel zu schnell von ihrer entfernt – seine Freundin. Er stellt die Frauen einander vor und wieder fällt ihr Blick zu Boden. Doch es wird sie nicht schützen, denn die wilden Flügel schlagen mit einer solchen Heftigkeit ihr Herz durch die bebende Brust, dass sie weiß, die andere kann es sehen – wenn sie es nicht längst geahnt hat. Den Sommer, als nichts passiert ist – und doch alles geschehen.

Er war es, der ihrem Herzen gezeigt hat, es hatte sich in die falschen Netze verstrickt. Nachdem er es befreit hatte, war es bei ihm geblieben. Da es sie ohne selbst in den lauen Sommernächten fröstelte, hatte sie sich zu den beiden gesellt, in jenem August. Und wusste doch nicht, dass da etwas von ihr geblieben war, als sie gehen musste; erkennt es nun, bei einem unvorsichtigen Blick, aber umso deutlicher in seinem.

Aus Angst, sich zu verraten, reden sie über dummes Zeug und geben so doch alles voneinander preis. Nächtelang will sie seiner Stimme lauschen, sollte es auch so sein, dass diese nichts anderes in Worte kleidet, als die Geschichte von der Erfindung des Klosteins. Die Blicke der anderen Frau treten nach ihr und sie schämt sich dafür, dass ihre eigenen keine Fragen offen lassen. Als dann sein raues Lachen erklingt jauchzt ihre Seele in der Erkenntnis, er ist ebenso nervös wie sie. Doch da gehen ihnen die Gründe aus, noch weiter beieinander zu verweilen...

Als sie sich voneinander verabschieden, spürt sie wieder sein Herz, durch seine Haut an ihrem schlagend, während sie der Anderen den Rücken zuwendet. Und bang klopft ihr Herz ihm die Frage gegen die Brust: „Wirst du es mir nachtun?“

*


Donnerstag, 29. Mai 2008

The Ex-Files


Nachdem du gegangen bist, muss ich lüften. Und ich weiß, es gibt keine Möglichkeit, diese Feststellung nett zu treffen oder ohne, dass sie verletzt. Deswegen versuche ich es erst gar nicht. Du bist weg – und ich lüfte dich aus meiner Wohnung. Wieder. Schüttle sogar den Überwurf der Couch, auf dem du gesessen hast, aus dem Fenster in die regnerische, kühle Nachtluft hinaus, damit kein bisschen von deinem Geruch zurückbleibt.

Du gehörst hier nicht mehr her. Das weiß ich längst. Aber du hast hier auch nichts mehr verloren. Das ist mir nun klar. Dein Ansinnen war nobel, wir haben uns im Treppenhaus getroffen, zufällig. Weil nach unserer Trennung keiner bereit gewesen war, aus dem Mietshaus auszuziehen, in dem wir beiden wohnen, passiert das noch manchmal. Oder – passierte, denn mich hält es hier nun nicht weiter. Ich hatte ein Problem mit einem widergespenstigen Elektrogerät, und du wolltest helfen. Als wir noch ein Paar waren, hast du so etwas nicht getan, „Was geht mich das an?“, war dein Standardsatz in solchen Situationen, verbunden mit dem Hinweis, ich solle mich um meinen Scheiß doch selbst kümmern. Nun aber, völlig überraschend, deine Hilfsbereitschaft; vielleicht habe ich sie deswegen angenommen, weil man immer noch hofft, Menschen würden sich ändern.

Dann bist du auf meiner Couch gesessen. Hast von meinem Bier getrunken, so wie früher, „wenn ich komme, muss Bier im Haus sein“, hast du immer gesagt; heute kaufe ich die grünen Flaschen nur für mich. Von deinem Leben hast du erzählt, dem ohne mich. Wie schlecht es dir geht, seitdem ich fort bin – und das immer noch, nach all der Zeit. Ich kämpfe dabei unbemerkt mit meinem Gewissen. Mir geht es gut, seit du kein Teil meines Lebens mehr bist. Ich kann wieder durchatmen, bekomme all die Luft, die ich brauche.

Du stehst auf, läufst im Wohnzimmer auf und ab, betrachtest Bilder, liest Buchrücken. Ich spüre, wie du nach Hinweisen auf einen neuen Mann suchst. Länger schon bist du dir sicher, dass es da wieder jemanden gibt und ich weiß, es macht dich wahnsinnig, dass ich nichts sage zu dem Thema. Nicht, weil es ein Geheimnis ist, sondern, weil es dich nichts angeht, ich mein Leben nicht mehr mit dir teilen mag, auch nicht in Worten. Ich will solche Dinge auch von dir nicht mehr wissen.

Doch du erzählst sie ungefragt. Dass du seit unserer Trennung keinen Sex mehr hattest, vor lauter Gram – und das dir, dem sprichwörtlichen Mister Popper. Ob du dafür gerne einen Pokal hättest, eine Urkunde, frage ich mich; auch, wieso du mir diese Dinge erzählst, mehr noch – aufbürdest, als sei ich verantwortlich dafür. Dass er dir nicht stehen will, wenn es darauf ankommt, beklagst du, das Gesicht in den Fotos meines Neffen, den Rücken zu mir. Als sei es meine Schuld. Ich sehe an dir vorbei in die dunkle Nacht und warte darauf, dass du verschwindest. Verblasst bist du längst.

Du klagst über dein hohes Alter, die Möglichkeiten die du verpasst hast in all der Zeit. Nennst mich die große Liebe deines Lebens, die eine Chance, die du hattest, auf echtes Glück. Ich verkneife mir die Anmerkung, dass Glück durch die Hintertür verschwindet, wenn man es so behandelt wie du mich, als es noch ein Wir gab, dessen Bestandteile du und ich waren.

Als du mein Badezimmer zum Pinkeln benutzt, lässt du die Tür offen stehen. Du hast meine Grenzen nie geachtet. Du kommst vom Klo zurück, da färben deine Wangen sich leicht. Ob ich wohl meine sexuellen Aktivitäten, du weißt ja nicht ob allein oder mit Partner, anderswo ausüben könne als im Bad? Die Gasrohre, so sagst du, trügen die Geräusche zu dir herunter, es sei schier unerträglich. Ich lächle unverbindlich. Hattest du darauf wirklich eine Antwort erwartet?

Und nein, du hast dich nicht verändert. Es geht immer noch nur um dich, deine Bedürfnisse, deine Sorgen, dein Leben. Und deine Beichte, deine Sehnsucht nach Vergebung. Denn du fühlst dich schuldig an dem, was passiert ist, klagst du noch, als du bereits wieder auf dem Weg nach draußen bist. „Heute wäre ich ein anderer, für dich“, lügst du, ohne rot zu werden. Ich tue dir den Gefallen und sage, dass es einfach nicht gepasst hat, dich keine Schuld trifft an unserem lauten Scheitern; da wirkst du beruhigt.

Mit der Wahrheit will ich dich nicht belasten. Du wirst den Schmerz, den du in mein Leben gebracht hast, nie verstehen – und es ist auch nicht mehr wichtig. Denn du bist fort und wenn die Narben auch bleiben, der Schmerz ist mit dir gegangen. Was von dir noch in meiner Wohnung hängt, schwindelig vertraut und gewohnt muffig, vertreibt die feuchte Nachtluft, als ich hinter dir her lüfte.

*



Mittwoch, 21. Mai 2008

Lungenbrand


Als unsere Beziehung längst vorbei war, da mussten wir uns noch auseinanderreißen. Wann dieses Reißen anfing, darüber haben er und ich später unterschiedlich geurteilt. „So um Weihnachten rum“, war seine Einschätzung. Damit meinte er, um Weihnachten rum, in dem Jahr, bevor der Januar kam – und das Wir auch nach außen aufhörte, zu existieren. So, wie es das im Innen längst getan hatte. Ich dachte anders darüber. „Im Sommerurlaub!“, schrie die wütendste aller Liebesnarben, tief in einer Falten meines Herzens versteckt – und meine Seele nickte leise. Doch damit meinten sie nicht den Sommerurlaub, bevor Weihnachten kam, bevor der Januar kam und das Wir aufhörte, zu existieren. Sondern den Sommerurlaub im Jahr davor.

So war es in jedem Fall ein Abschied in Raten. Unzählig viele, kleine und größere Raten, an deren Abbezahlung wir uns gegenseitig verletzten. Wann der Wunsch, gehen zu können, so stark wurde, dass er mir mehr Luft nahm, als meine Lungen aufgeben konnten, um mich existieren zu lassen, weiß ich noch auf die Stunde genau. Blass sei ich, hat er damals gesagt – also sind wir spazieren gegangen. Aber in der Kühle des Dezembernachmittages verweigerte das Organ sich der neuen Luft, wollte ihr keinen Platz machen: so lange er noch neben mir ging.

Das war so um Weihnachten rum. Um Weihnachten rum, kurz bevor der Januar kam und das Wir aufhörte, zu existieren. Aber nicht in diesem Januar, sondern noch einen vollen Januar später. Und so wurde diese Zeit die Schlimmste – als seine Gegenwart begonnen hatte, mir die Luft aus den Lungen zu drücken. Denn ich wusste, das Wir hatte aufgehört zu existieren, damals, im Sommerurlaub; aber weil ich keine Luft hatte, konnte ich sie auch nicht holen. Holen aber musste ich sie doch, um ihm zu sagen: Das Wir ist uns abhanden gekommen. Und du und ich, wir müssen ohne einander weiter machen. So aber war ich zum Schweigen verurteilt. Ein ganzes Jahr lang.

Immer hat es aber in diesem Jahr Momente gegeben, als ich dachte, die Luft in meinen Lungen würde genügen. Wenn ich sie gesammelt hatte, über viele schweigende Stunden. Dann saß ich auf seinem großen Bett, in dem wir unsere Distanz teilten, sah ihn leise an und versuchte zu sprechen; doch kein Wort verließ mich und er konnte die Schreie meines Herzens nicht hören.

Bis schließlich der Moment kam, in dem ich nur nicken musste, damals, als er „du willst es ja gar nicht mehr!“, gezürnt hat, auf meinem Bett ist das gewesen – und ich habe aus meinem Fenster in den weiten Himmel geschaut. Nach draußen, wo so viel mehr Luft war als drin bei uns – und nur stumm genickt. „Das habe ich nicht nötig!“, hat er gerufen und ist aus der Wohnung gestürmt. Ich wollte dem Leben ein leises „Danke“ murmeln, doch auch dafür fehlte mir die Luft. Bis ich genug davon zusammen hatte, ist er schon zurück gewesen, „was sollte ich denn machen, ohne dich?“, hat er gefragt – und ich hatte noch nicht genug Luft, um ihm zu erwidern: „Erwachsen werden.“ Und: „Mich leben lassen.“

So ging das ein paar Mal in der folgenden Zeit, er hat sich in Wut geredet, während ich meine Luft zu sammeln versuchte – und dann ist er davongestürmt, nur um Stunden später wieder vor der Tür zu stehen, flehend. Einmal ist er zum Stürmen sogar in einen Flieger gestiegen, weil wir bei Freunden zu Besuch waren. Fünf Tage des Schämens sind das gewesen, wenn ich in die Augen der beiden sah. Schlimmer noch, wenn sie mich zur Seite nahm und fragte, „warum lässt du das mit dir machen? Wieso darf der dich so behandeln? Wann willst du endlich anfangen, zu kämpfen?“ Keine einzige Antwort habe ich gewusst, kein guter Grund ist mir mehr eingefallen; und jede Träne hat sich durch mein Gesicht gepflügt wie ein Drescher. Im Boden wollte ich versinken, doch er hat mir nicht aufgemacht. Das war so um Weihnachten rum.

Und dann kam der Januar. Und es war endlich der Januar, in dem ich genug Luft beisammen hatte, um zu sagen, was längst heimlich Wahrheit geworden war: „Das Wir hat aufgehört zu existieren. Und du und ich, wir müssen ohne einander weiter machen.“ Dann bin ich gegangen, nur um Stunden später aufzuschrecken, als es klingelte, an meiner Tür. Da stand er, ich wusste es, auch ohne ihn zu sehen – und sagte, ich wusste es, auch ohne ihn zu hören: „Was soll ich denn machen, ohne dich?“

Ich habe mit dem Rücken zur Tür gesessen, als das Klingeln kam und die Frage; und die Worte sind von draußen nach drinnen gekrochen, doch sie konnten mir die Luft nicht mehr nehmen, weil ich hier, in meiner Sicherheit, genug davon gesammelt hatte. „Erwachsen werden“, habe ich leise gegen das schützende Holz gemurmelt. Und: „Mich leben lassen.“

*



Montag, 12. Mai 2008

Just like I saw it on TV


Nachdem die Bilder aufgehört haben, ihre Geschichte zu erzählen, starren sie beide weiter auf den leeren Bildschirm. So lange, bis der mit einem leisen Poff und einem kurzen, hellen Aufflackern erlischt. Schließlich ist sie es, die zuerst etwas sagt. „Das kotzt mich so an!“, schimpft sie in die Stille des Raums, der außerdem dunkel ist, weil sie das Staffelfinale der Serie so intensiv wie möglich erleben wollten. Ohne Licht. Und ohne den andern wahrzunehmen.

„Was kotzt dich denn an daran, es war doch gut, oder? Würdiges Ende, findest du nicht?“ „So ist das im wirklichen Leben aber nie. Das war total unrealistisch.“ Sie dreht sich zu ihm um, obwohl sie weiß, dass sie nicht mehr von ihm erkennen kann als einen Schatten. Die Straßenlaternen werfen ein wenig Licht durch die Fenster, doch es macht nicht mehr von ihm sichtbar als einen schemenhaften Umriss, wie er da in seiner Sofaecke kauert.

„Das ist deine Beschwerde?“, lacht er sie aus. „Dass es unrealistisch war?“ Sie nickt trotzig. „Wenn du Realismus willst, geh spazieren, triff Freunde oder fahr raus zum Real, aber Fernsehen ist ja nun nicht gerade für unsere Realität verantwortlich, oder? Und Serien schon gar nicht.“ Sie dreht sich auf den Rücken und denkt über seine Worte nach, während sie mit den Augen die fahlen Lichtspiele beobachtet, die von vorbeifahrenden Autos an die Zimmerdecke gemalt werden.

„Aber so ist das nicht mehr. Das stimmt nicht, nicht im Bezug auf so eine Serie.“ „Was?“ „Was du gesagt hast?“ „Was von dem, was ich gesagt habe?“, fragt er, und sie ärgert sich über die leise Ungeduld in seiner Stimme. So, als ob er gerade die zehn Gebote verlesen hätte – und sie habe nur acht davon mitbekommen. „Mit dem Realismus, dass das Fernsehen dafür nicht zuständig ist. Klar ist es nicht seine erklärte Aufgabe, aber die Serie zum Beispiel versucht sich ja sehr am Realismus. Und andere Filme oder Serien auch. Aber wenn es um das Thema Beziehungen geht, Liebe und so – dann scheitern sie einfach, das können sie nicht so darstellen wie es im wirklichen Leben ist.“

Sein Feuerzeug klackt mit einem leisen, metallenen Geräusch auf und für einen kurzen Moment mischt sich in das blaue, fahle Licht der Straßenlaternen und Autoscheinwerfer die kühle Flamme des Feuers. Ihr wird bewusst, wie schnell ihre Augen auf das hellere Licht reagieren, wie viel länger sie brauchen, um sich wieder an das Dunkel zu gewöhnen. „Beispiel?“ fordert er.

„Erin Brockovich!“

Sie spürt sein leises Lachen noch bevor es erklingt. „Über den Film regst du dich jetzt echt schon seit Jahren auf.“ „Na, zu Recht!“, beharrt sie. „Ich meine, der Tussi läuft alles schief, immer wenn sie denkt, sie ist schon völlig am Boden, bekommt sie noch mal ein paar vor die Fratze geballert – und als sie dann komplett fertig ist mit den Nerven“, ... „zieht ein gutaussehender Motorradrocker neben ihr ein, hütet ihre Kinder, schmeißt ihr den Haushalt und hält ihre Launen aus“, führt er zu Ende. „Du hast das Wichtigste vergessen.“ „Nämlich?“ „Dass er sie liebt!“ „Ja, das meinte ich doch damit.“

„Siehst du, aber genau das ist eben das Ding. Nicht, ja das meinte ich ja damit, sondern eben genau das: er liebt sie. Ihr Leben läuft total schief, sie hat dreiundzwanzig uneheliche Kinder, kämpft einen völlig aussichtslosen Kampf, rennt rum wie der letzte Straßenköter, jammert und heult den ganzen Tag – und er ist einfach da. Und liebt sie, als wäre es das Normalste auf der Welt.“ „Ich versteh nicht, warum du immer ausgerechnet bei dem Film so einen Hals bekommst mit dem Thema. Der war ja noch nicht mal gut. Und außerdem sah der Typ später in Thank you for Somking oder wie der Streifen heißt komplett scheiße aus und war ein totales Arschloch, also was soll’s!“

Sie ist genervt von den Kringeln, die er in die Luft pustet, und den Pausen, die er wegen des Rauchens macht. „Darum geht’s doch gar nicht.“ „Worum geht es denn dann?“ „Immer noch um dasselbe Thema wie eben, nämlich dass der Liebespart von Filmen und Serien kein Stück der Realität entspricht.“ „Und die sieht wie aus?“ „Na, überleg doch mal, wer damals in Hamburg in die Wohnung neben meiner WG gezogen ist, als ich arbeitslos und total am Sack war“, klopft sie mit dem Handrücken gegen die Wand und ihre Erinnerung. „Jedenfalls kein gutaussehender Motorradrocker...“ „Sondern der Arsch, der den Job gekriegt hat, den du zu der Zeit eigentlich gern gehabt hättest...“, „So dass ich über Monate jeden morgen seinen Wecker klingeln hören konnte und mir vorstellen, wie er in mein potentielles Büro geht. Das ist das wahre Leben.“

Er zündet sich noch eine Zigarette an und sie greift nach der roten Packung, fummelt sich ebenfalls eine heraus und klemmt sie in den Mundwinkel. „Ich dachte ja bis eben, du rauchst nicht mehr“, mahnt er und sie muss grinsen über den Vorwurf in seiner Stimme. „Das tu’ ich ja auch gar nicht.“ „Und was ist das dann?“ Sie dreht sich zu ihm um und leuchte ihn ein wenig mit dem Feuerzeug an, die Kippe klebt ihr nass im Mundwinkel und schmeckt vertraut nach etwas, woran sie sich gerne erinnert. „Das ist meine Erin Brockovich Zigarrette.“ „Deine was?“ Sie nuckelt an ihrer Kippe, puste imaginären Rauch in die Luft und blickt ihm scheinbar sehnend nach, wie er zur Decke steigt, bis ihr klar wird, dass ihr Schauspiel umsonst ist, weil er sie nicht sehen kann – und da beginnt sie albern zu gackern.

„Meine Erin Brockovich Zigarrette. Die zu rauchen ist ungefähr so, wie wenn man einem verliebten Paar im Fernsehen zuschaut: man ist live dabei – aber nicht persönlich involviert.“ „Das stelle ich mir nicht besonders befriedigend vor“, sagt er; sie weiß, er redet von der Zigarrette. „Ist es auch nicht“, erwidert sie nur leise; doch das Rauchen hat ihr nie gefehlt.

*



Montag, 28. April 2008

Das Oskar-ABC der Singlemänner


„Singlemänner an sich“, meint mein Kumpel Oskar, „kannst du erstmal in ganz grobe Kategorien unterteilen, vier Stück, würde ich sagen. Zuerst sind da die Aufreißer und die Frauenversteher.“ Ich rutsche ein wenig auf meinem IKEA Bananenkissen hin und her und ernte dafür einen Anschiss. „Wenn du nicht mal stillhältst, muss ich von vorn anfangen und das is dann vor allem dein Pech.“ „Aber das Bananenkissen zwickt mich in den Popo“, jammere ich, „und mir is’ so heiß“. „Das ist ein Grund mehr, endlich die Füße stillzuhalten, wenn du dich bewegst wird’s dir doch bloß noch heißer.“ Ich füge mich grummelnd in mein Schicksal.

„Also, wie geht deine Klischeeargumentation über den Singlemann an sich jetzt weiter?“ Wenn ich mich schon quäle, will ich dabei wenigstens ein bisschen was über den Mann, das unbekannte Wesen, dazulernen. „Na ja“, Oskar kaut auf seinem Bleistift, ich versuche, mich heimlich am Hintern zu kratzen, was mir einen ungnädigen Blick einbringt. Also bemühe ich mich, weiter stillzusitzen und das Jucken zu ignorieren.

„Ein Aufreißer tut, was der Name halt vermuten lässt: Er reißt Frauen auf. Reihenweise und zum Vergnügen. Das kündigt er auch so an, aber dann fährt er ’ne derartige Charmeoffensive, dass die aktuell Angebetete doch wieder glaubt, was Besonderes zu sein. Ratzfatz landen die beiden in der Kiste – und während sie mit ’nem mittelmäßigen Orgasmus die erste Stufe auf dem Weg zur Wolke sieben genommen hat, wählt er neben ihr in Gedanken schon die Nummer des Taxiunternehmens seines Vertrauens. War der Sex gut, kommt er vielleicht noch mal wieder und erhöht bei dem Mädel unnötig die Fallhöhe, aber in der Regel wird sie nix mehr von ihm hören.“

„Und wenn er sich in sie verliebt?“, bohre ich nach. „Tut er nicht. Dann wäre er ja kein Aufreißer – sondern ein Frauenversteher.“ Von so viel entwaffnender männlicher Logik fängt meine Kopfhaut an zu jucken – ich traue mich aber nicht zu kratzen. „Kannst du den linken Arm wieder ein bisschen höher nehmen“, fordert Oskar da unbarmherzig, „der ist nämlich gerade etwas abgerutscht“. Ich rolle genervt mit den Augen, was Oskar aber nicht interessiert; schließlich verändere ich dabei meine Pose nicht.

„Und was machen die so, außer Frauen verstehen?“ „Einmal, sie aus sicherer Entfernung anhimmeln. Aber das würden sie natürlich nie zugeben, um nich’ die Freundschaften, die sie mit ihren Mädels pflegen, zu gefährden.“ „Was für ’ne Quälerei“, murmele ich. „Klar. Der Frauenversteher an sich ist auch’n bisschen masochistisch veranlagt“, sagt Oskar und grinst mich an. „Immerhin kommt zu dem Umstand des fernen Anhimmelns noch seine Rolle als 1A Zuhörer, sprich, nicht nur kann er das Mädel seiner Träume nicht haben, er tröstet sie auch noch, wenn der Aufreißer sie wie eine heiße Kartoffel fallengelassen hat.“

„Irgendwie klingt das alles nicht so prickelnd“, stelle ich fest, während ich einem Schweißtropfen nachschiele, der zwischen meinen Brüsten hindurch in Richtung meines Bauchnabels rinnt. „Bist du hier gleich mal fertig?“, nörgle ich den Mann am Zeichenblock an. „Ich muss pinkeln.“ „Fünf Minuten noch“, fordert der – „und damit genügend Zeit, um dich vor dem schlimmsten Singlemann überhaupt zu warnen“. Ich ziehe eine Braue hoch und reiße die Augen auf: „Ach, es kommt noch schlimmer?“ Oskar senkt mit einem bösen Lächeln die Stimme. „Und wie! Mach dich bereit für – das Weichei.“ Ich muss lachen. „Das Weichei?“ Oskar nickt ernsthaft.

„Das Weichei leidet an einer völlig verzerrten Selbstwahrnehmung. Hält sich schon bereit für die nächste Frau, ist aber eigentlich noch vollmundig am Wunden lecken. Möchte ein Aufreißer sein, appelliert bei den Frauen aber eher an so eine Art Beschützerinstinkt. Was zu einer aggressiven Sexualität führt und dem Wunsch, dich erst ordentlich zu vögeln und dann stundenlang mit dir darüber zu reden. Absolut metrosexuell, oder wie das heute heißt. Braucht länger im Bad als du. Absolut empfindsam. Ein wirklich toller Typ, irgendwie, aber Null mit sich im Reinen. Dem darfst du unter gar keinen Umständen zu nahe kommen. Und ihn schon gar nicht in dein Bett lassen.“

Ich nicke abwesend, bevor ich abermals nachbohre: „Und das war’s dann aus deiner Sicht, ja?“ Ich hätte Oskar gerne angesehen bei der Frage, aber das verbietet meine Pose. Der Schweißtropfen ist mittlerweile in meinem Bauchnabel angekommen und mein Arm wird taub. „Doch, klar. Dann gibt’s noch den, der ehrlich auf der Suche ist – und der unterteilt sich noch ma’ in’n paar Untergruppen, sehr komplex, der Kerl. Wichtig für euch Mädels is aber eigentlich nur zu kapieren, ist der Typ wirklich auf der Suche nach was Echtem, oder nur nach ’ner Frau, die seine Wunden so lange verarztet, bis er wieder auf dem Damm ist – und sich was Neues sucht. Der eine ist im Grunde The One and Only, der, mit dem du glücklich werden kannst – und dementsprechend rar. Der andere ist ’ne Katastrophe. Nur leider weiß der geneigte Singlemann oft selbst nicht, zu welcher Gruppe er eigentlich gehört, bis er nich die ersten paar Wochen mit der neuen Frau verbracht hat.“

Oskar blickt vom Zeichenblock auf: „Fertig.“ „Ich auch. Nervlich. Das war nich’ unbedingt ne tolle Werbung für deine Spezies“, stelle ich fest. Oskar lacht: „Ach, das war doch nur Spaß. Und reiner Selbstzweck. Wenn du wieder damit anfängst, dich auch anderweitig auszuziehen, als um dich von mir zeichnen zu lassen, hast du ja keine Zeit mehr für mich – und ich muss üben.“ Spricht’s – und verpasst mir einem Klaps auf meinen nackten Po.

„Finger weg“, grummle ich, und greif nach meinem Bademantel. „Du hast mir grad eh’ schon die Laune auf euch Kerle verdorben, jetzt lass mir wenigstens meinen Glauben an den guten, platonischen Freund, der seit Jahren in einer festen Beziehung steckt.“ Oskar grinst schelmisch. „Ach Süße, mach’ dir keine Illusionen, ich bin doch auch nur ein Aufreißer im Vorruhestand.“

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Montag, 24. März 2008

This ain't Hollywood


„Halt mich!“, flüstert sie, einem unsinnigen Reflex folgend, der ihre eigenen Mauern kurz und schnell überwindet; offenbar hatte sie in letzter Zeit zu viele Kitschfilme gesehen, früher wäre ihr so etwas nicht passiert. Der Typ, sie glaubt sich zu erinnern, er heißt Marc, grunzt unwillig.

Statt sie einen Moment in den Arm zu nehmen, fängt er erneut an, ihr zwischen die Beine zu wühlen und macht sich wild leckend an ihren Brüsten zu schaffen. Dabei bekommt er tatsächlich schon wieder einen Ständer. „Du machst mich so geil“, zischt er ihr ins Ohr, bevor er fast brutal in sie eindringt und beginnt, sich schnell und heftig in ihr zu bewegen. Sie vergisst ihre kurze Kitschanwandlung, drängt ihren Unterleib gegen seinen, krallt sich an den metallenen Bettpfosten fest und hält seinen Stößen entgegen.

Als er eingeschlafen ist, sitzt sie in seinem Badezimmer auf dem Toilettendeckel und starrt auf das Display ihres Handys. Sie hat den Typen schon ein paar Mal gesehen, immer in irgendwelchen Discos, zumeist mit anderen Frauen. Trotzdem schien er sich immer für sie zu interessieren. Einmal, vor ein paar Wochen, hatten sie in einem dieser Läden geknutscht, mehr aus Zufall, wie es ihr schien. Doch sie war schräg drauf gewesen an dem Abend und, nachdem sie ihn erst ziemlich heiß gemacht hatte, später einfach abgehauen.

Danach hatte sie ihn eine Weile nicht wiedergesehen, bis gestern im FLOS. Da kam er plötzlich auf sie zu, packte sie am Handgelenk und zerrte sie in irgendeine dunkle Ecke, wo er unter halb liebevollen, halb wütenden Beschimpfungen anfing, sie derart heftig zu knutschen und zu befummeln, dass sie diesmal echt Lust auf mehr bekommen hatte – und mit zu ihm gegangen war. Marc, Ralf, oder wie auch immer.

„Tobi mobil“, schreit ihr lautlos das Display ihres Handys entgegen, das bereits wieder im Dunkeln liegt. Sie löscht die Nachricht auf der Mobilbox, ohne sie vorher anzuhören. Der Idiot glaubt an eine Liebe, die doch nie mehr war als eine Illusion. Wie alles, was man glaubt, festhalten zu können. Sie will sein Bitten und Betteln nicht mehr hören, lieber fickt sie auch noch den Rest der Stadt.

„Sorry“, murmelt sie in Richtung des Handys, oder vielleicht auch in die Himmelsrichtung, unter der sie Tobi vermutet, während sie sich aufrappelt und vor den Spiegel stellt. Ihre Augen sehen ein wenig stumpf aus heute Abend, oder liegt das an dem Licht?

Neugierig durchforstet sie das Badezimmerschränkchen. Zahnbürsten, jede Menge. Davidoff Cool Water. Wattestäbchen, eine Kassette, Bürste und Kamm. Ziemlich ordentlich, der Typ. Seife, Rasierer, Schaum, Deo. In der ganz rechten Tür, Tampons, eine rote Zahnbürste und eine Kette mit Herzchenanhänger – ein angeschossener Stelzbock also, wie alle, wie sie selbst; humpelndes Reh.

Als sie aus dem Bad zurückkommt, ist er bereits wieder wach und streckt fordernd die Hände nach ihr aus. Diesmal will er allerdings nur kuscheln und sie schläft für eine Nacht in dieser fremden Geborgenheit, die vorgibt, real zu sein, obgleich sie dem Stamm der Gaukler angehört.

Am nächsten Morgen schleicht sie sich aus der Wohnung, während er in der Küche steht und das Kaffeewasser aufsetzt. Sie war noch immer in seinen Armen wachgeworden und erschrocken über den Frieden, der sich im Zimmer ausgebreitet hatte, obwohl er nicht dorthin gehörte.

Auch sein Kuss passte nicht in ihre Idee von dieser Nacht, wenn es ihr auch so vorkam, als ob er damit mehr einem Reflex gefolgt war, der sich beim Aufwachen automatisch eingestellt hatte; und gleich darauf gereut. Sie grübelt nach seinem Namen, aber nur kurz. Und hat ihn bereits fast vergessen, als seine Tür leise hinter ihr ins Schloss fällt.

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Donnerstag, 8. November 2007

Organfieber


Wenn aber dein Herz mein Heim ist. Ist es mehr, als ich je zu finden wagte. Weil es mehr ist, als ich jemals zu suchen begann.

Wenn deine Augen mich blicken öffnet mein Herz sich dem deinen, für einen einzigen Schlag. Den es aussetzt, im Vertrauen darauf, deines wird ihn übernehmen – und so bleibt doch der Takt erhalten.

Wenn deine Hand mich fasst öffnen meine Poren sich leicht, in sanfter Erwartung der Wellen, die jeder Moment deiner Körpernähe durch mich hindurch schickt. Werde ich vom Schiff, das sicher im eigenen Hafen ruhte, zum Nusskahn, der keinen Halt findet im Wasser, das an ihm bricht.

Wenn mein Herz im Schatten einer wachen Nacht auf deines trifft, geht alle Hektik und Unruhe aus ihm und es klammert sich an den Wunsch, seine Decken auszubreiten, gerade hier, genau jetzt – weil alles an deinem Herzen meinem ein ewiges Ankommen ist.

Doch wenn deine Stille mich trifft, ein ums andere Mal, höre ich aus ihrem kühlen Klang, dass wir lange nicht mehr sind, was nie gewesen ist. Und breche.

An dieser reinen Unvernunft.

*


Dienstag, 10. April 2007

Schusswaffen


„Du hast echt ein süßes Baby, ey, ganz ehrlich. Und dein Mann, ey, der liebt dich. Hab’ ich gleich gesehen!“ Ich luke vorsichtig unter meiner Krankenhausbettdecke hervor. Vermutlich war die mal gelb weiß gestreift, mittlerweile sieht sie allerdings eher aus, als sei sie im regelmäßigen Wechsel mal mehr und mal weniger dreckig. Außer mir und meiner Bettnachbarin ist niemand im Zimmer, also frage ich: „Meinst du mich?“ Sie nickt heftig. „Und sieht auch gut aus, dein Kerl!“

Ich rubble mir mit dem abgewinkelten Zeigefinger der linken Hand im Auge herum. Erstens, weil es dort juckt und zweitens, um meine Verwirrung zu überspielen. Schließlich brummle ich Unverständliches in Richtung Bettdecke. Vielleicht hört sie ja gleich auf zu reden?

„Wie lang’ seid ihr verheiratet?“ „Ich bin gar nicht verheiratet“, offenbare ich zögerlich. Und wundere mich selbst, wieso eigentlich zögerlich?, als sie schon nachhakt, „was, Kind ohne Ehe un’ so was? Ey, Schwester, ich schwör’, das geht bei uns nicht.“ Ich überlege, wo „bei uns“ ist und stelle erschrocken fest, warum meine Antwort eben nur zögerlich kam – der Gedanke an Ehe und Kind hatte nichts Abschreckendes. Mir ist ein bisschen übel.

„Woher kommst du denn?“ „Also, das is’ nich’ so leicht. Wir sind Türken, schon, aber mehr Kurden. Das lässt sich kompliziert erklären, auch wegen Mafia.“ Hat sie gerade Mafia gesagt? „Wie alt is’ dein Sohn?“ „Ich habe keinen Sohn.“ „Doch, Schwester, auf dem Foddo, oder was, klar, oder?“ Ich gebe auf. „Das ist nicht mein Kind.“ „Wem sein’s sonst?“ „Der Kleine ist mein Neffe, der Sohn von meiner Schwester“, lasse ich die Katze aus dem Sack, nur um trotzig hinterher zu schieben, „aber ich bin Patentante“.

„In der Mafia gibt’s auch Paten, aber mehr in italienischer!“, erklärt sie mir und fragt: „Ihr habt keine Kinder?“ „Wer?“ „Du und deine Mann?“ „Ich bin nicht verheiratet!“, erinnere ich sie freundlich. „Na, dann halt du und deine Fro-hoint!“ Ich seufze. „Das ist nicht mein Freund.“

„Der Blonde?“, fragt sie, ehrlich erstaunt. „Das ist nicht dein Macker, Schwester?“ „Nein!“, antworte ich. „Aber der liebt dich!“, ruft sie, scheinbar entrüstet. „Wer?“ „Der schöne Kerl!“ Ich muss grinsen darüber, dass sie offensichtlich einen meiner Jungs schneckig findet. „Ne, tut er nicht“, widerspreche ich dann.

„Wie alt bist du eigentlich?“, frage ich sie. „Schätz ma’!“ „Vierzehn.“ „Ey, Schwester, bingo! Du hast’s drauf, man, wenn du Kurdin wärst, vielleicht wärst du mit uns in der Mafia.“ Ich frage mich gerade, ob die auch Frauen aufnehmen, als sie sagt, „hast aber keine Angst, gell, im Krankenhaus sind Schusswaffen verboten, da bringt keiner was mit“. Ich nicke. Na dann… „Und wie alt bist du?“, fragt sie nun. „Schätz mal!“, fordere ich.

„Vierundzwanzig!“ Komm her, Kleine, lass’ dich küssen. „Ne. Achtundzwanzig.“ „Ey, Scheiße – und da bist du noch nicht verheiratet?“ Ich mag sie doch nicht küssen. „Nein.“ Mit einer jüngeren Schwester, die bereits verheiratet ist und Mutter, bin ich besorgt unter der Stirn herausgerunzelte Nachfragen der Art schon gewöhnt; von einem Mädchen, das halb so alt ist wie ich, wirken sie dennoch für einen Moment erschütternd.

„Ey, aber der Blondy liebt dich doch. Nimm den.“ Ich muss wieder grinsen. „Schätze, da hätte seine Freundin was dagegen“, lache ich. „Außerdem liebe ich ihn nicht – und er mich genauso wenig, ganz sicher.“ Meine Gegenüber schüttelt den Kopf. „Ey, Schwester, vertrau mir, die wird der verlassen. Wie der dich so anschaut. Und wie der immer herkommt. Und dich so anfasst. Vertrau mir.“

Ich freu mich drauf, zur Besuchszeit ihre Spekulationen mit Blondy und dem Rest der Bande zu teilen und komme nicht mehr zum gezielten Widerspruch, da meine Bettnachbarin für ihre OP abgeholt wird. Zum ersten Mal seit Tagen bin ich da allein: kein Besuch, kein Lämpchen schwingender Arzt, keine Zimmergenossin und keine Schwester.

Nur ich – und meine Gedanken.

Die Stille in meinem Kopf tut weh. Doch schlimmer noch pocht eine andere. Mir fehlt etwas, das ich nicht [mehr] kenne, verselbständigen sich die Gedanken in meinem Kopf. Und es wird schon seit einer Weile jeden Tag ein bisschen doller, stelle ich fest. Wie das passieren konnte, frage ich mich, dass ich auf die Frage, ob ich in festen Händen sei, mein nein nicht mehr strahle, sondern leise seufze. Und finde keine Antwort außer der einen, dass es wohl keine Phase, sondern eine Veränderung ist.

Weil mein Herz sich den alten Staub abgeschüttelt und seine Fenster weit aufgerissen hat, ohne zu fragen, was ich davon halte. Nun sitzt es da und friert, weil sich vor Zeiten etwas zwischen sein Klopfen und die Sonne geschoben hat: ich.

Mache ich Platz, wird mir bloß der Rücken kalt.
Und Schusswaffen sind im Krankenhaus verboten.

*



Samstag, 31. März 2007

Hammerherz


Manchmal, wenn ich nachts durch die Straßen meiner Stadt wandere, gesellt sich die Einsamkeit zu mir, in einem bizarren Kleidchen. Und plötzlich komme ich nicht umhin, nachzudenken über den Teil meines Herzens, der alleine bleiben wird, solange ich mich – außer an mir selbst – nicht auch wieder an einem wir wohlfühle.

„Raise your hands if you got your heart broken“, erinnere ich, während ich mit Musik auf den Ohren und Unruhe im Herzen durch die dunkle Frühjahrsnacht stolpere. Auch meine Hand hat da gezuckt und meine Lippen die Worte, „ja, vom Leben“, ausgespuckt, ohne dass ich zuvor darüber nachgedacht hatte. „Life, it was you who broke my heart the most“, summte ich auf die Melodie eines alten Johnny Cash Songs. Das Leben. Die Menschen. Der Mann. Angeknackst und wundgeprügelt, den fleischroten, von der Liebe durchflackerten Muskel.

Als ich mich von dem Einen trennte, der den meisten Schaden angerichtet hat, dort unten, wo es gleich dem Schlag eines wilden Hammers wummert und pocht, habe ich vielleicht geahnt, es könnte länger dauern, diesmal, bis sich die Riegel zum Tor meines Herzens wieder aus den Scharnieren hieven lassen. Weil eine Tür, die derart klemmt, Widerstand leistet, beim nächsten Versuch, sie zu öffnen. Kummer aber hat mir diese Vorahnung nicht bereitet – weil weder ich noch mein Herz Eile verspürten dabei, dies Tor wieder aufschwingen zu lassen.

Die Sehnsucht nach der einen Form von Zweisamkeit und Nähe, wie sie nur der Beziehung mit unserem Liebsten entspringt, ist natürlicher Teil unserer Seelen. Weder eine eigene schlechte Erfahrung, noch ein abschreckendes Vorbild, zwei Menschen, die sich in ihrer Liebe vor unseren Augen gegenseitig langsam und quälend zerstört haben, wird daran etwas ändern, denn das Sehnen nistet sich schon früh sicher in einer tiefen Falte unseres Herzens ein. Und nichts, was der kluge Kopf gegen diese Unvernunft zu sagen hat, wird daran je etwas ändern; muss es auch nicht.

Zumindest, solange wir unserer Sehnsucht nicht blind nachrennen, sondern ihr mit ein wenig Bedacht folgen. Uns nicht in ihr verlieren, am Wunsch, uns durch die Liebe eines anderen neu erfinden zu lassen. Und dem Glück, das die Sehnsucht mit leichter Hand führt, weder verzweifelt hinterherjagen, noch ihm verbittert den Rücken zuwenden. Vor allem aber: Die eine Beziehung, nach der wir streben, nicht als Wundermittel ansehen, das alte Probleme ganz von selbst löst, den neuen Partner nicht zu einem strahlenden Retter stilisieren, der unser Leben schlagartig zum Besseren verändern wird.

Denn – natürlich verzaubert uns eine neue Liebe mit aller Macht und beflügeln uns ihre Momenten reinen Glücks, gemeinsam mit einem sanften Hauch wohliger Einbildung, den wir uns im Rausch der wild aufflammenden Gefühle gerne genehmigen. Doch weder dieser Zauber noch unsere Einbildung sind von ewiger Dauer. Was aber bleibt, wenn die beiden sich durch die Hintertür der nun nicht mehr ganz so frisch verliebten Seele davongeschlichen haben?

Ganz schlicht: Was zuvor da gewesen ist. Der tiefe Kern aus dem er und die ganze Wahrheit über das sie, welche da unvermutet und heftig zusammengebracht wurden. Wenn der frühe Zauber einer aufkeimenden Liebe verflogen ist und der erste Lack an der neuen Beziehung abgescheuert, bleibt zurück, was vor der Liebe schon da war. Zwei Partner mit unterschiedlichsten Lebensläufen und ureigenen Bedürfnissen, mit verschiedenen Beweggründen, diese Zweisamkeit eingegangen zu sein. Zwei Menschen mit all ihren Hoffnungen und Sehnsüchten, menschlichen Macken und zauberhaften Seiten.

Jeder alte Traum und jede neue Angst, jedes gute Gefühl und jeder schlechte Gedanke ist dann in zwei unterschiedlichen Ausführungen vorhanden, die zuvor meist schon für sich nicht immer rund liefen, nun aber plötzlich gemeinsam funktionieren sollen – und zwar besser, als zuvor alleine. Und das ohne, dass die beiden Teile des neuen Ganzen wenigstens eine der beiden nun verwobenen Hälften wirklich gut kennen würden – nämlich ihre eigene. So steht man also nicht anders da als vor dem Liebesrausch auch, nur eben nun zu zweit.

Deswegen ist es auch nie so, dass einem der eine Partner fehlt, mit dem es dann urplötzlich wieder voranginge – und das allein deshalb nicht, weil eine Beziehung, mit diesem Ansinnen eingegangen, nie auf Dauer funktionieren wird. Vielmehr fehlt uns häufig ein ehrlicher Blick auf uns selbst, und der Mut, die Phasen, in denen wir ohne ein PlusEins unterwegs sind, auszuschöpfen – um zu erspüren, was wir wirklich wollen. Vom Leben, unserer Zukunft, aber auch: einer neuen Partnerschaft. Die sicher kommen wird, mit der Zeit – und deren Chancen auf ein dauerhaftes Glück so viel besser stehen, wenn beide Partner sie mit einer Ahnung davon beginnen, was es ist, das sie sich vom Anderen wünschen; und von ihrem Leben.

Doch statt die Zeit mit uns selbst zu nutzen, verschwenden wir sie oft damit, einer Sache hinterherzurennen, die wir gar nicht zu suchen brauchen – der Liebe. Diese aber lässt sich von uns nicht bezähmen und einfangen, genauso wenig wie ausschließen und ignorieren – sondern wird auf ihrem Weg durch die Herzen der Menschen immer diejenigen finden, deren Sehnen nicht mehr kühl von der Angst vor Einsamkeit angetrieben wird, sondern deren Seele auf ihrer ewigen Wanderung wieder bereit ist, sich sanft berühren zu lassen durch die Begegnung mit einem anderen Menschen.

Auch meine Seele hat schon einen weiten Weg zurückgelegt auf dem Pfad, der mich durch dieses Leben führt – und mich dabei sicher bis hierher gebracht. In eine Zeit, die mir zwar auf meinem Weg durch die dunklen Nächte meiner Stadt manches Mal die Fratze der Einsamkeit in den Wipfeln der Kastanienbäume erscheinen lässt, in der zugleich aber mein wildes Hammerherz von einer wärmende Zuversicht erfüllt ist, die uns beiden den Weg leuchtet.

Auf dem auch meine Wunden heilen werden, auch meine Seele andächtig innehalten – und mein mutiges Herz sich wieder berühren lassen wird, in seiner tiefsten Falte. In einem Moment, von dem ich noch nichts weiß, außer, dass es ihn gibt – irgendwo da draußen.

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