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Freitag, 20. Dezember 2013

Die TORToUR: Dies ist die Nacht, da mir erschienen


[Kaspar Friedrich Nachtenhöfer]

Alles hängt ja bekanntlich mit allem zusammen. Wenn also zwei Redakteure der TORToUR gemeinsam ein Buch über Mainz 05 verfassen, lässt sich zumindest vermuten, ihre Arbeit für das Fanzine war dem Zustandekommen dieses Vertrages nicht abträglich. Wenn dann just die Dame aus dem Autorenduo eingeladen wird, für einen Abend auf der orangegelben Couch im Studio der SWR-Sendung „Flutlicht“ platz zu nehmen, hängt das vielleicht damit zusammen, dass sich dereinst der Wunsch ihres Vaters erfüllte, und sie als Mädchen zur Welt kam. Mehr Fußballsachverstand hätte am End’ sogar der männliche Autor auf die Couch gebracht – alles Gerüchte, kann ich dazu nur sagen. Und überhaupt...

Willkommen auf der gelben Couch! (Foto: WP)
Was genau Kölnfan Wolfgang Niedecken ins Fußballfeindesland verschlägt, konnte vorab niemand ahnen, für ihn trudelten jedoch tonnenweise Autogrammwünsche ein; Hans-Peter Briegel, die Walz aus der Pfalz, hat angeblich eine Zweitwohnung in Studionähe: Niemand tritt häufiger bei Flutlicht auf als er (behaupte ich und mir wird nicht widersprochen). Am Anfang stand jedenfalls die Nervosität und von der ist es nur ein Katzensprung bis hin zum Schnaps; da es aber betüddelt auf der Fernsehcouch vermutlich schneller peinlich wird, als eine Katze springen kann, gab es stattdessen ein Trinkspiel im doppelten Sinne, wonach die Autorin für jede Erwähnung der TORToUR ein Stadionbier ausgegeben bekommt, einerseits, und andererseits vereinzelte Freiwillige aus der Redaktion bei jeder dieser Erwähnungen an den heimischen Fernsehgeräten einen Schnaps kippten.

Ob das angedrohte Public-Viewing zu diesem Anlass tatsächlich zustande kam, ich weiß es nicht, was ich aber sagen kann ist, mit dieser Anekdote einzusteigen, hat alles viel einfacher gemacht. Es ist ja schön leicht gesagt, dass man sich in einer derart ungewohnten Situation – Kameras, Prominenz, Publikum – einfach locker machen soll, am Ende hilft es doch, wenn ein Studio voller Menschen herzlich lacht und Wolfgang Niedecken, Hans Peter Briegel und Tom Bartels alles daran setzen, so oft wie möglich von einer Tortour zu sprechen. Immerhin, die Herren kannte man bisher auch nur aus dem Fernsehen. Gut, mit Tom Bartels hatte man sich am frühen Mittag schon beim Plausch vertraut gemacht, und das in Unterwäsche, aber davon ahnt der ja glücklicherweise nichts; solche Dinge passieren eben, wenn man quasi aus der Dusche direkt ans klingelnde Telefon stolpert. Vielleicht ist es ja wichtig!

Högschde Konzentration! (Foto: Jörg Braun)
Was bleibt von dem Abend? Die TORToUR ist jetzt endlich ein bisschen näher dran an der Berühmtheit, die sie verdient hat. Der Tom, der Wolfgang und der Hans-Peter sind echt drei nette Jungs. Mein Postfach war am nächsten Tag voller als an meinem Geburtstag. Ach und, einige verwirrte FCK-Fans haben sich tatsächlich die Mühe gemacht, mich zu googeln, dabei meinen Twitter-Account gefunden und mich da standesgemäß als „Labertante“ und „Fan von Depp 05“ beleidigt, die ihnen „voll auf den Sack geht“. Ich bin schon ein bisschen stolz.



PS: Pfalz halt, ihr Telefon können sie bedienen, aber zum Umschalten hat’s nicht gelangt.
PPS: Tausend Dank für die vielen gedrückten Daumen, fürs Mitkommen und Mitfiebern und Mitfreuen, lang lebe Die TORToUR, Prost und Hurra.


[Zuerst erschienen in der Adventsausgabe von Die TORToUR]

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Samstag, 14. Dezember 2013

Die TORToUR: Es kommt ein Schiff geladen


Das Schiff geht still im Triebe,
trägt eine teure Last;
das Segel ist die Liebe,
der Heilig Geist der Mast.
[Johannes Tauler]

Seinem neuen Buch „Wenn Spieltag ist – Fußballfans in der Bundesliga“ hat Hardy Grüne das wunderbare Zitat von Eric Cantona voran gestellt, in dem dieser treffend ausformuliert, was jeder Fan ohnehin weiß: „You can change your wife, your politics, your religion – but never, never can you change your favorite football team.“ Besser ist diese absolute Liebe niemals beschrieben worden.

Grüne unterteilt seine 256-Seiten-starke Reise durch die Geschichte der Fußballfans in acht thematische Kapitel, nämlich: Fans – Eine Typologie, Kurve – Die Seele der Fans, Farbe – Aktive Fankultur, Auswärts – Fans auf Reisen, Gewalt – Die dunkle Seite des Spiels, Frauen – Weibliche Fankultur, Kommerz – Moderner Fußball, Ultras – die Rebellen der Kurve. Für die Bereiche Frauen und Ultras hat er sich mit Nicole Selmer und Christoph Ruf zwei Co-Autoren ins Boot geholt, die über das jeweilige Thema bereits zuvor publiziert haben.

Foto: Verlag
Früher hatten neue Bücher einmal diesen besonderen Geruch. Ich weiß nicht, wohin genau der verschwunden ist, denn Druck ist Druck, sollte man meinen, doch die kleinen Softcover von heute verströmen nicht mehr den Duft, mit dem man sich tagelang am Kamin festlesen wollte. Grünes Spieltagsbuch ist von einer üppigen Haptik, die beinah vergessen scheint in Zeiten von Kindle & Co. – nicht nur ist die DinA4-Größe als Format fast ausgerottet, es ist auch ein dickes, schweres Buch – ein Wälzer im besten Sinne –, dabei aber keine Bleiwüste, sondern mit unzähligen Bildern liebevoll gestaltet und aufgewertet durch allerlei Zitate von Fußballgrößen. Und es duftet, lacht ihr ruhig, aber ich hatte vergessen, wie gut so ein neues Buch duften kann... Völlig egal also, ob auf einen Reader etwa zig Hundert Bücher passen, wer Grünes Buch durchblättert, glaubt (wieder) an die Zukunft von Druckerschwärze.

Was am Ansatz des Autors besonders angenehm ist – er betrachtet die Szene gleichermaßen als Aktiver und aus der Distanz. Fan ganz allgemein und auch speziell im Fußball, das ist er vor Jahrzehnten geworden, aber er setzt sich mit der Kultur und Entwicklungsgeschichte eben auch als Journalist und Historiker auseinander. Es ist genau dieser Spagat, der das Buch besonders macht, weil da einer schreibt, der sich ehrlich bemüht, beide Perspektiven auf Fans und Szene zu schildern, sie einander und jedem Leser, der sich weder zu der einen noch der anderen Seite zählt, nahe zu bringen. Das ist keine leichte Aufgabe doch zumeist gelingt der von ihm selbst benannte Spagat.

Bei aller Genauigkeit der Recherche, Aktualität und Liebe zum Detail sind es aber doch vor allem die Fotos, von denen dieses Buch lebt. Bilder aus zig Jahrzehnten Fußballliebe, in die nach und nach die Farbe einfließt, Abbildungen aus den Stadien der Republik, Impressionen begeisterter Fans, Erinnerungen an magische Momente – skurril, erstaunlich und emotional. Sie machen das Buch quasi zum Familienalbum, in dem sich die ganze weit verstreute Sippe wieder findet. Schön!

[Zuerst erschienen in der Adventsausgabe von Die TORToUR]

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Freitag, 13. Dezember 2013

Als Kloppo auf der Gladbacher Bande surfte

Es ist ja weithin bekannt, dass bei Mainz 05-Spielen so etwa drei- bis viermal im Jahr das wunderbare Fanzine Die TORToUR herausgegeben wird, zu dessen Redaktionsteam ich gehöre. Bei anderen Vereinen sind die Anhänger aber auch nicht faul, was Publikationen rund um den Ballsport angeht – und neben den klassischen Fanzines und solchen, die dafür ins Web abgewandert sind, gibt es auch etliche Podcasts, in denen Mannschaft und Saison begleitet werden.

Für einen davon stand ich kürzlich Rede und Antwort: Manuel Breuer vom Vollraute-Podcast hat mit mir über frühere Begegnungen unserer Teams gesprochen, die Entwicklung der Vereine und ihrer Fanszenen – und zuletzt habe ich Grund 100 „Weil Kloppo auf der Gladbacher Bande“ surft aus den „111 Gründen, Mainz 05 zu lieben“ vorgelesen. Nachzuhören ist das jetzt auch auf YouTube:



Während und nach der Sendung ging es außerdem auf Twitter noch ein bisschen hin und her, wer Lust hat, kann sich das ebenfalls anschauen, und zwar hier und hier.

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Samstag, 7. Dezember 2013

Die TORToUR: Driving Home for Christmas


„I’m driving home for Christmas
Oh, I can’t wait to see those faces
I’m driving home for Christmas, yeah
Well, I’m moving down that line.“
[Chris Rea]

Man soll den Mund ja bekanntermaßen nicht zu voll nehmen. Selbst dann nicht, wenn man am Tag des Zweitrunden-Pokalspiels gegen Köln bei Freunden zu Besuch ist: in Köln. Wo natürlich der eigene Weg ab und an den eines FC-Fans kreuzt – und die sind gut zu erkennen, sei es am umgeschlungenen Schal, am übergezogenen Trikot oder am lauthalsen Telefonat, in dem die mobile Kristallkugel für den Abend eine haushohe Mainzer Pleite voraussagt. „Könnt ihr vergessen!“, rufe ich dem Telefonierenden im Vorbeigehen gut gelaunt zu. Wann hat Köln denn bitte in Mainz zuletzt etwas geholt? Eben...

„Driving in my car
I’m driving home for Christmas
With a thousand memories.“

Für den Heimweg habe ich großzügig geplant, man weiß ja, wie es zwischen Köln und Mainz so laufen kann auf der Autobahn. Die Zeit bis zum eigenen Spiel in ein paar Stunden lasse ich mir bald von der Berichterstattung über die Pokalbegegnungen überbrücken, die bereits früher angepfiffen worden sind. Zwei Mal trifft Jovanovic im Gütersloher Heidewaldstadion für den SV Sandhausen – für dieselbe Anzahl Tore hat er in Mainz 39 Spiele gebraucht.

„It’s gonna take some time but I’ll get there
Top to toe in tailbacks
Oh, I got red lights all around
But soon there’ll be a freeway, yeah
Get my feet on holy ground.“


Taking the long way home. (Foto: Simone Hainz/pixelio.de)
Der Straßenbahnmeisterei im Großraum Köln hat offenbar niemand Bescheid gegeben, dass ein paar Tausend der Einwohner an diesem Abend gen Mainz pilgern werden; es ist ja nicht so, dass ich die Strecke alleine antrete, um mich herum wimmelt es nur so von mit Geißbock beflaggten Fahrzeugen... Und ich habe jede Menge Gelegenheit, um mir die auch in Ruhe zu betrachten – aufgrund einer Nachtbaustelle (die offenbar pünktlich zur 9-to-5-Feierabendzeit aufgerissen wurde) stehe ich plötzlich in einem zehn Kilometer langen Stau. Was, so viel ist schnell klar, ziemlich sicher verhindern wird, dass meine Füße bei Anpfiff auf dem heiligen Boden der Arena auf und ab hüpfen werden...

„So I sing for you
Though you can’t hear me
When I get through
And feel you near me.“

Zum Anpfiff nuschle ich mich inmitten der bunten Lichter auf der Autobahn durch „You’ll never walk alone“ und zupfe dabei mit verdrehtem Arm an dem kleinen 05-Schal, der hinter mir am Fenster hängt. Zehn Kilometer können verdammt lang sein...

„I take a look at the driver next to me
He’s just the same.“

...und die Unruhe steigt inzwischen minütlich. Regelmäßig klettern Leute aus den Autos rund um mich herum, um mit verrenkten Hälsen das Ende des Staus auszumachen. Irgendwann löst der sich tatsächlich auf (ohne dass ich je eine Baustelle gesehen hätte). Mit durchgedrücktem Gaspedal geht’s so nahe ran ans Stadion wie irgend möglich, inzwischen haben Sandhausen, Augsburg und Wolfsburg ihre Spiele gewonnen, der BVB muss in die Verlängerung. Quasi mit dem Halbzeitpfiff erreiche ich das Stadion, Toilette, Bier, S-Block, allgemeines „Hallo“ und die tröstlichen Worte: „Du hast nichts verpasst.“ Dieses Spiel gewinnen wir offenbar in der zweiten Halbzeit, soll mir recht sein, denn ab jetzt bin ich live dabei.

„I’m driving home for Christmas
Oh, I can’t wait to see those faces
I’m driving home for Christmas, yeah
Well, I’m moving down that line.“

45 Spielminuten und viele stirnrunzelnde, von Bier unterlegte Gespräche später steht fest, die Stunden im Stau waren nicht unbedingt der schlechtere Teil des Abends.


[Zuerst erschienen in der Adventsausgabe von Die TORToUR.]

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Dienstag, 3. Dezember 2013

Die TORToUR: Dein König kommt in niedern Hüllen


(...und manchmal kommt er gar nicht)
„Trag ihm entgegen Friedenszweige,
bestreu mit Maien seine Steige
Oft wollten dir der Erde Herren
den Weg zu deinem Throne sperren.“
[Friedrich Rückerts]

Das mit den Friedenszweigen hatten unsere Buben beim Spiel gegen Szalai 04 offenbar falsch verstanden, denn die trugen sie leider eher ihrem Gegner entgegen... Es ist aber natürlich auch schwierig, im Herbst alle Spiele so abzuliefern, dass sie der TORToUR hinterher in irgendein Adventskalenderkonzept passen, das wollen wir an dieser Stelle nicht verhehlen; zumal da die Redaktion ihre geniale Eingebung ja erst hatte, als etliche Begegnungen längst Vergangenheit waren... Nun ja. Im Dezember üben wir mit der Mannschaft mal Weihnachtsliedgut!

Fürs erste ist in der inneren Logik der Saison aber noch mal der 14. September, und hinter uns liegt ein absolut fantastischer Auftakt mit drei Jubelsiegen sowie eine zu hoch ausgefallenen, in der Sache aber doch verschmerzbaren Auswärtsniederlage gegen Hannover 96. Im Stadion, ums Stadion und ums Stadion herum schwirren emsige TORToUR-Verkäufer, um das neueste Heft an den Fan zu bringen. Lediglich die Tatsache, dass außerdem auch zahlreiche Wespen angriffslustig schwirren, den Attackestachel unbeirrt auf die knallorange leuchtenden Westen der Verkäufer gerichtet, kann zwischenzeitlich meine die Stimmung trüben.

War klar: alles Lutscher! (Foto: Flickr.com/moe_in_berlin)
Aber wer sollte an Spieltagen gegen Schalke ernsthaft schlechte Laune haben, viel zu putzig ist es anzuschauen, wenn der in mehrfacher Hinsicht blaue Anhang aus Gelsenkirchen gen Arena rollt und kugelt. Und dann erst die Fachgespräche! „Kennst du’n Mainzer?“ „Spieler?“ „Ja!“, eingeleitet von einem lauten Rülpsen. „Ne, nur den Szalai.“ Kopfkratzen. „Aber der ist ja jetzt bei uns.“ „Mhm.“ „Oder warte, noch einen, den Chupa Chups!“ Genau, gebt den Kindern ein paar Lollis und setzt sie im Ballparadies aus, bis das Spiel vorbei ist.

Leider zum wiederholten Male wird die Arena allerdings zum Ballparadies für die Gäste. Es ist natürlich nicht ganz fair, das Spiel mit dem desaströsen 2:4 der vorvergangenen Saison zu vergleichen, bei dem Mainz 05 zur Halbzeit noch mit 2:0 geführt hatte. Und doch, auch diese Niederlage hat etwas von einem Dolchstoß – weil unsere Jungs auf dem Rasen definitiv kein schlechtes Spiel abliefern und am Ende vor allem ein individueller Fehler den Ausschlag gibt. Den wiederum ein Schalker mit seiner individuellen Klasse auszunutzen vermag: Okazakis „Pass“ auf Boateng schiebt dieser bereits in der 34. Minute ins rechte untere Eck ein.

Ob Unglücksrabe Shinji hinterher in der Kabine mit Lollis getröstet wurde, ist leider nicht überliefert, aber auf dem Weg zum Throne – die Mainzer wären mit einem Sieg auf dem 4. Rang, dem Qualifikationsplatz für die Königsklasse also, gelandet – standen den Jungs die irdischen Schalker an diesem Tag tatsächlich versperrender Weise im Weg...

[Zuerst erschienen in der Adventsausgabe von Die TORToUR]


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Donnerstag, 28. November 2013

DIE TORToUR – Spezialausgabe

Pünktlich zu Beginn der Adventszeit präsentiert die Redaktion des Mainz 05-Fanzines „Die TORTOuR“ ein Spezial des beliebten „schee Heftsche“. Die aktuelle Ausgabe kann stilecht als Adventskalender an die Wand gehängt werden. Folgerichtig sind es diesmal auch genau 24 mal lustige, mal informative, mal spannende und mal vom Unfug getriebene Geschichten, die Platz in der TORToUR gefunden haben.

Die Macher erinnern sich mit Begeisterung an den Auswärtssieg in Bremen, obwohl der noch gar nicht stattgefunden hatte, als das Heftchen in der Druckerei war, verpassen ungewollt die erste Halbzeit der Pokalpleite gegen Köln, erinnern an die Aktion 12:12 aus dem letzten Jahr und singen dazu jede Menge Weihnachtslieder. Am Ende darf der geneigte Leser sich seinen höchstpersönlichen Weihnachtsbaum(gartlinger) schmücken – keine Frage, das auf nur 500 Exemplare limitierte Adventsspezial gehört in jeden fußballerischen Haushalt!

Erhältlich ist das schee Heftche einmalig beim Heimspiel gegen den BVB für die bewährten 1,50 Euro am Fantreff und bei den eifrigen Verkäufern rund ums Stadion. 





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Montag, 11. November 2013

Der dümmste Fangesang der Welt


Wenn in der Mainzer Coface Arena Heimspiele steigen, steht eine Loge dabei besonders im Fokus – es ist die, zu deren Besuch der Verein Gäste einlädt, die sich beruflich oder auch im Privaten besonders um die Gesellschaft verdient machen. Beim Rhein-Main-Derby gegen die Frankfurter Eintracht waren in besagter Loge offenbar einige Prostituierte zu Gast; eine nette Geste in Zeiten, in denen der Berufsstand sich dem lauten Ruf nach seinem Verbot ausgesetzt sieht.


Die meisten der Damen hatten bislang aber mit Fußball offensichtlich nicht viel am Hut und kannten die Gepflogenheiten in einem Stadion nicht, weswegen sie die Teams nicht lautstark mit anfeuerten. Darüber ärgerten sich die Fans der Eintracht und begannen, die Prostituierten zur Unterstützung der Mannschaften aufzufordern, nämlich mit dem Ruf: „Warum sind die Huren so leise?“

Nun weiß natürlich prinzipiell jedes Kind, sogar, wenn es in Frankfurt groß wird, dass „Hure“ eine eher abfällige Bezeichnung für „Prostituierte“ ist, weshalb die so gescholtenen offenbar die Köpfe aus der Loge streckten, um festzustellen, wer sie da beschimpft. Was dann passierte kann ich mir nur so erklären, dass die Damen typmäßig eher nicht der Fall der Mainzer Ultras waren, denn nun begannen die ihrerseits mit Rufen: „Warum sind die Huren so hässlich?“

Ich fand ja einen Gesang so blöde wie den anderen und habe mich lieber ganz auf meine Mannschaft konzentriert, die übrigens einen sensationellen, hoch emotionalen Derbysieg eingefahren hat.

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Freitag, 8. November 2013

Der zwölfte Mann nimmt Abschied


Heute vor vier Jahren stand Robert Enke zum letzten Mal im Tor von Hannover 96. Zwei Tage später nahm er sich in der Nähe seines Wohnhauses das Leben. Für das Mainz 05-Fanzine „Die TORToUR“ habe ich mich damals mit seinem Tod, den Reaktionen und der Trauerfeier im Stadion beschäftig.

So haben wir das Thema damals bebildert. (Montage: Die TORToUR)
Wenn man bedenkt, dass ich nach Michael Jacksons Tod tagelang damit beschäftig war, die Augen darüber zu verdrehen, welche Welle der Hysterie durch die Welt (und vor allem das Netz) rollte, mag es seltsam erscheinen, wie sehr mich Robert Enkes Tod schon seit Tagen beschäftigt. Aber letztlich zählt eben immer auch die persönliche Bezugsgröße – und nicht nur gibt es mir nahe stehende Menschen, die mit Depressionen zu kämpfen haben, Robert Enke war als Fußballer zudem Teil eines Systems, dem ich mich ebenfalls zugehörig fühle. Und er hatte als Mensch etwas an sich, auf das man sich irgendwie einigen konnte. Es gibt eben Typen, die polarisieren und solche, die einem sofort sympathisch erscheinen; so einer war Enke. Dazu die Geschichte mit seiner Tochter, das sind irgendwie Bilder, die man nicht vergessen hat, die einen Bezug herstellen zu diesem Menschen, obwohl man ihn nicht oder nur über Fernsehbilder kannte.

Ehrlich, so lange ich denken kann, war mir Hannover 96 einfach egal. Dann kam die Episode mit Hanno Balitsch, der sich zu fein war für Mainz 05 und zu einem Verein wollte, der „oben mitspielt“ – es wurden die 96er. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mich über jede Niederlage der Niedersachsen gefreut, mit freundlichen Grüßen an einen, dem die emotionale Intelligenz fehlte für das System Mainz 05. Der Verein lag plötzlich auf der nach Lautern offenen „Ich kann euch nicht ab, das ist nicht rational, das ist einfach so“-Skala kurz hinter der Eintracht. Aber Enke, den mochte ich. Außerdem war er mittlerweile Teil der Nationalelf und mir als Nachfolger von Jens Lehmann lieber als Tim Wiese.

Die Trauer nach dem Verlust eines geliebten Menschen wird in der Psychologie in Phasen eingeteilt. Dazu gibt es verschiedene Modelle, einige gehen von vier Phasen aus, andere von fünf, gemein ist aber allen, dass am Anfang völliger Unglaube über den Tod steht, der erst mit der Zeit durch heftigere emotionale Regungen wie Schmerz und Sehnsucht, aber auch Wut abgelöst wird. Diese Wut richtet sich gegen etwas Fernes, ein Schicksal, vielleicht einen Gott, jedenfalls das Gefühl überwältigender Ungerechtigkeit darüber, getrennt worden zu sein von einem, den man liebt. Ein Selbstmord bringt all das durcheinander, weil die emotionale Reaktion viel unmittelbarer ist; einen großen Teil davon machen Schuldgefühle aus und die zerstörerische Frage, wieso man den anderen nicht abhalten konnte? Dazu kommt, dass die Wut eigentlich einen direkten Adressaten haben könnte – den Menschen nämlich, den man verloren hat, weil er doch aktiv gegangen ist. Obwohl man aber ein Recht hat auf diese Wut, fühlt sie sich doch schäbig an und gibt zugleich den Schuldgefühlen weitere Nahrung: Erst war man nicht in der Lage, zu helfen – nun macht man dem Verstorbenen noch Vorwürfe dafür, dass er den einzigen Weg gewählt hat, den er für sich offenbar sah.

Beckmann sagt ausnahmsweise mal was Richtiges. Der
Zettel hängt seit vier Jahren über meinem Schreibtisch.

In ihrem Abschiedsbrief an Robert Enke beschreiben die Spieler der Nationalelf ihre Ohnmacht im Angesicht seines Todes: „Warum konnten wir dir nicht helfen? Warum konntest und wolltest du uns nicht von deinen Problemen erzählen?“ Und weiter: „Es ist für uns alle ein schmerzhafter Gedanke, dass du dich einsam und allein gefühlt haben musst, auch wenn du mit uns zusammen warst. Dass du so oft das Gefühl gehabt haben musst, viel mehr verlieren zu können als ein Fußballspiel. (...) Dein Tod ist so trostlos.“ Als das Länderspiel der Nationalelf gegen Chile abgesagt wurde, zweifelten einige, ob das die richtige Entscheidung war. Oft stand dabei die Frage im Raum, ob Enke selbst es gewollt hätte. Doch das ist im Grunde egal: Weil nach dem Tod eines Menschen (und in dieser Sache macht ein Selbstmord keine Ausnahme) die zählen, denen er genommen wurde, es darauf ankommt, dass sie einen Weg finden, das Geschehene zu verarbeiten. Das Spiel wurde nicht abgesagt, weil man es etwa als unpassend empfunden hätte, an jenem Wochenende zu spielen. Es wurde abgesagt, weil die Spieler nicht anders konnten: „Wir waren nicht in der Lage, ein paar Tage später Fußball zu spielen. Wir konnten nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen.“ Und: „Wir alle brauchten diesen Moment der Ruhe, um zu realisieren, was passiert ist. Richtig verstehen werden wir es vielleicht nie.“

Ganz ähnlich geht es vielen Fans, speziell natürlich denen von Hannover 96. Ein Spieler, mit dem sie über Jahre ihre Wochenenden verbracht haben, fühlt sich so gefangen, so unter Druck, dass er sich vor einen Zug wirft. Natürlich ist es wahr, dass der Großteil dieser Fans Enke nicht im klassischen Sinne kannte, nie mit ihm gesprochen, ihn nie persönlich erlebt hat. Aber das ändert nichts daran, dass sie sich (mit) ihm verbunden fühlen. Er war ein Teil ihrer Welt, ein Mensch, dem sie in kniffeligen Situationen den Rücken stärkten, der samstags nach dem Spiel via Sportschau bei ihnen zu Hause vorbeischaute. Es mag pathetisch klingen, aber man muss jemanden nicht kennen, um ihn zu lieben; zumindest nicht, wenn es um Fußball geht. Der funktioniert eben nicht über den Kopf, ist eine beinahe ausschließlich emotionale Angelegenheit. Diese Nähe führt schließlich dazu, dass auch die Fans sich fragen, was hätten wir tun können, um das zu verhindern? Weil die Fassungs- und Hilflosigkeit der Menschen, die Enke persönlich kannten, sich auf sie ausweitet. Und: Wie kann es sein, dass einer, der uns so lieb und teuer war, eine solche Angst davor hatte, eine vermeintliche Schwäche zu offenbaren, dass er sich stattdessen lieber umgebracht hat?

Deswegen wurde Robert Enke auch nicht im Stadion aufgebahrt, weil irgendjemand das Gefühl hatte, das gehöre sich plötzlich so. Es gab dort auch keine Trauerfeier, weil man glaubte, das sei notwendig für Enke oder in seinem Sinne – fast schon eher im Gegenteil. Denn niemand geht wohl davon aus, dass einer, der so im Stillen gelitten hat, auf etwas nahe an einem Staatsbegräbnis Wert gelegt hätte. Wichtig war diese Trauerfeier vielmehr für die Fans. Denn so, wie Teresa Enke sich in der Pressekonferenz am Tag nach Enkes Tod von der Last des Geheimnisses befreite, das sie jahrelang für ihren Mann gehütet hatte, konnten sich die Fans an jenem Tag im Stadion von ihrem Entsetzen und der ersten, unmittelbaren Trauer befreien. Die Gedenkfeier gewährte auch ihnen jenen „Moment der Ruhe“, den Enkes Nationalmannschaftskollegen in ihrem Abschiedsbrief beschreiben – und die Möglichkeit, sich genau so von ihm zu verabschieden, wie sie ihn all die Jahre unterstützt haben: im Kollektiv.

Zuerst erschienen im Dezember 2009 in „Die TORToUR“ # 23

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Donnerstag, 24. Oktober 2013

»111 Gründe, Mainz 05 zu lieben« – Rückblick Antenne Mainz, Vorschau Hugendubel

Seit etwas mehr als einem Monat steht »111 Gründe, Mainz 05 zu lieben«  nun schon in den Regalen – und das Strahlen, mit dem Verleger Oliver Schwarzkopf uns kürzlich auf der Buchmesse begrüßt hat, durfte durchaus als gutes Zeichen in Sachen Verkaufszahlen gewertet werden. Große Freude!

Natürlich wollen wir die Werbetrommel noch ein bisschen weiter rühren, damit immer mehr Menschen von unserem Buch erfahren, aber auch von dem großen Spaß, den wir oft beim Schreiben hatten. (Wie es aussah, wenn die Fetzen geflogen sind, behalten wir dagegen für uns.)

Am Buchmessensonntag hatten wir dazu die Gelegenheit in der Talksendung von Michael Bonewitz auf Antenne Mainz 106,6. In acht Interviewtakes haben wir mit ihm während seiner vierstündigen Sendung über das Buch, aber auch das Fanzine Die TORToUR, Lieblingsspieler, Auswärtsfahrten, und vieles mehr gesprochen. Wer das Ganze verpasst hat, kann sich auf meinem Youtube-Kanal die einzelnen Ausschnitte anhören. Wir hatten jedenfalls viel Spaß!


Als nächstes steht nun am kommenden Mittwoch, 30. Oktober, unsere Lesung bei Hugendubel in der Filiale Am Brand in Mainz an. Los geht es dort um 17 Uhr, weitere Informationen zur Veranstaltung finden sich hier.

Kommt alle!

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Montag, 21. Oktober 2013

Ihr habt die Haare schön oder: Alle auf Stefan Kießling


Man kann mir nun, Manuel Friedrich hin, André Schürrle her, beileibe keine besondere Nähe zu Bayer Leverkusen vorwerfen. Und zu behaupten, ich hätte eine besondere Beziehung zu Stefan Kießling oder eine Haltung zu der Frage, ob der Stürmer Nationalmannschaft spielen sollte oder nicht, wäre eindeutig zu hoch gegriffen. Aber was sich seit dem Bundesligastart ins Wochenende am Freitagabend unter dem Deckmäntelchen einer Fairnessdiskussion gegen den Spieler ins Netz ergießt, empfinde ich in weiten Teilen als dumm, niederträchtig und mit mindestens zweierlei Maß gemessen.

Rückblende, Freitagabend, Ligaspiel Hoffenheim gegen Bayer Leverkusen. Das auf fremden Plätzen gerne mehr oder weniger liebevoll als Die Pillen bezeichnete Team führt 1:0, als der vieldiskutierte Stefan Kießling aufs Tor köpft. Erfahrener Torjäger, der er ist, sieht er der Flugkurve des Balls an: Das war wohl nichts. Schlägt, enttäuscht darüber, seine Hände vors Gesicht und dreht sich vom Tor weg. In dem liegt Sekunden später, unbestritten zur allgemeinen Verwunderung (nicht nur Torjäger ziehen gerne mal Rückschlüsse aus der Flugkurve), der Ball. Kurze Irritation bei den Spielern beider Mannschaften, wie genau ist denn das passiert? Automatisierte Reaktion beim Anblick eines Balles hinter der Torlinie: Jubel, Umarmung, Tusch – und ab.

Leverkusens Torjäger Stefan Kießling. (Foto: Johann Schwarz CC 2.0)
Liebe Kritiker und Fairnessverfechter, wie genau lautet eigentlich der Vorwurf, der nun im Raum steht, sei es gegen Kießling und seine Teamkollegen, sei es gegen Schiedsrichter Dr. Felix Brych oder auch die Spieler der TSG Hoffenheim? Und wie hätte eine Fairness, die hier nun allenthalben eingefordert wird, bitte aussehen können? „Du hömma Schiri, für mich sah es ja aus, als ginge der Ball nicht ins Tor. Jetzt liegt er doch drin. Schau doch mal nach, ob vielleicht das Netz kaputt ist“ – so vielleicht?

Wovon genau soll ich denn als Fußballer in einem Moment, in dem der Ball sich klar hinter der Linie befindet, in dem auch der Schiedsrichter nicht eingreift und der Torwart nicht protestiert, ausgehen, als davon, dass dieser Ball offenbar im letzten Moment einen ganz seltsamen Schlenker hingelegt hat – und irgendwie doch da oben ins Eck reingegangen ist? Davon, dass etwas mit dem Tor nicht stimmt, ganz ernsthaft? Davon, das Netz könnte kaputt sein – darüber soll sich ein Spieler in dem Moment Gedanken machen? Und was für eine bodenlose Arroganz liegt eigentlich vor, wenn nun eine fast geschlossene Fanrepublik, unterstützt von einer Vielzahl der Sportjournalisten, hergeht und behauptet, man hätte in der Situation ganz eindeutig sehen müssen, dass der Ball nicht im Tor war? Noch dazu, wo er eben doch im Tor lag, nur eben nicht auf regulärem Wege hinein gekommen war.

Unsinn, oder auch: Ich lach’ mich kaputt! Wie viele Fans, Journalisten oder Spieler haben schon zu früh in der Annahme eines Tores gejubelt und dann entsetzt feststellen müssen, der vermeintlich im Netz zappelnde Ball hat eben dieses nur von außen getroffen? Wie oft hat man sich im Stadion schon ungläubig die Augen gerieben und dem Blocknachbarn zugemurmelt, „Ich dachte im Leben nicht, dass der reingeht, so wie fliegt“, wie oft drei Fernsehwiederholungen aus verschiedenen Perspektiven gebraucht, um später halbwegs zu glauben, was im Stadion absolut unwahrscheinlich schien?

Und stimmt, Fans sind weder Spieler noch Schiedsrichter. Stimmt auch, von denen darf mit gutem Grund in gewissen Situationen ein Mehr an Spielverständnis erwartet werden – aber mal darüber nachgedacht, mit welcher Geschwindigkeit so ein Ball in das Tor oder am Tor vorbei saust? Und eventuell mal in Erwägung gezogen, dass es für die Beurteilung durch den Schiri einen gewaltigen Unterschied macht, ob er sagen muss, der Ball war oder war nicht hinter der Torlinie – eine Sachlage, die zu beurteilen er trainiert und auf die er vorbereitet ist – oder ob er entscheiden soll, ob ein Ball auf irregulärem Weg ins Tor gelangt ist, eine Entscheidung also, die zu treffen er überhaupt nicht erwartet?

Noch schlimmer ist das Gekreische gegen Stefan Kießling, und ein trauriges Beispiel für Doppelmoral dazu. Nicht nur, dass bis Freitag eine halbe Fußballnation nicht müde wurde, den Leverkusener zu feiern und für die Nationalmannschaft zu fordern, um seinetwillen gerne mal die Fähigkeiten des Bundestrainers in Zweifel zog und einen auf Dauerentrüstung machte, nein. Angeblich im Dienste der Fairness, die der Stürmer, so der Vorwurf, in dieser Situation nicht habe walten lassen, wird er aufs Übelste attackiert, sieht sich in weiten Teilen unreflektierten Vorwürfen ausgesetzt und muss sich, wie das im Netz offenbar für viele Leute dazu gehört, heftig und absolut unfair (!) beschimpfen lassen.

Völlig unbesehen der Entscheidung, ob das Tor am Ende zählt oder nicht (ich finde übrigens ja, weil es eine Tatsachenentscheidung ist, die – genau wie ein gegebenes Abseitstor – zwar schmerzt, aber aktuell zum Fußball wie wir ihn kennen eben noch dazu gehört), ob das Spiel wiederholt wird oder nicht und wie am Ende die Entscheidung der Sportgerichtsbarkeit aussehen wird: Die Keulen, die seit diesem Spiel gegen Stefan Kießling geschwungen werden, sind vollkommen überzogen.

Wenn es tatsächlich darum geht, eine Diskussion zu führen über Fairness im Fußball (die begrüße ich sofort!), gibt es nun wirklich ganz andere Themen- und Problemfelder, die angesprochen werden müssten, von Rassismus über Homophobie in den Fanlagern hin zu Schwalbenkönigen und Dauerfoulern auf dem Feld. Sich in Sachen Fairness im Fußball nun ausgerechnet an einem stets so feinen Sportsmann wie Stefan Kießling abzuarbeiten, ist lächerlich und nicht gerechtfertigt.

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Samstag, 5. Oktober 2013

Mainz 05: Und die Tränen vergehen im Regen


Man nehme, eine Portion schlechte Laune und einen möglichst fiesen Titel. Entliehen einer unsäglichen Achtziger(?)jahreschmonzette – an der das Schlimmste vermutlich ist, dass ich sie kenne; auf geht’s in den Fußballnachmittag. Und was hatte ich für eine riesige Lust, nach 72 Stunden Einzelhaft mit meiner Erkältung bei diesem Spitzenwetter ins Stadion zu gehen – Wahnsinn. Macht aber nichts, Heimspiel ist Heimspiel und in der momentanen Situation braucht die Mannschaft jede Unterstützung.

Wetter könnt’ besser sein. (Foto: WP)
Haben sich außer mir zum Glück auch noch drei, vier andere Leute gedacht. Klausi behauptet, es seien irgendwas um die 25.000 im Stadion. Das muss er auch, denn soweit ich das verstanden habe, werden die Dauerkartenbesitzer automatisch mitgezählt, ob anwesend oder auf dem heimischen Sofa spielt da keine Rolle. Geschätzt sind nicht viel mehr als 20.000 im Dauerregen ins Feld gezogen – das fühlt sich schon mal ziemlich beschissen an.

Und besser wird’s auch fürs Erste nicht, im Gegenteil. Zack, zweimal geblinzelt, schon liegen wir mit 0:2 hinten. Hallo, Schiri (Foul an Niki), hallo, Torwart (1:0), hallo, Innenverteidigung (2:0), hallo, Fans (erste Hälfte erste Halbzeit), hallo, irgendjemand? 

Nachtigall, ick hör dir trapsen, das erinnert alles bedenklich ans Leverkusenspiel, wenn man noch eine fiese Portion Unsicherheit bei unseren Buben drauf haut und ein paar Tausend Fans abzieht. Was für eine Scheiße... Da hilft eigentlich nur, hüpfen, brüllen, springen, unser Team nach vorne singen – und in der Halbzeit ein Bier holen, zur Beruhigung.

Zweite Halbzeit, neues Spiel. Neues Glück. Alter Choupo, der schon nach seiner Einwechslung in der 25. Minute eine Menge Ideen und Bewegung ins Mainzer Spiel gebracht hatte. Auch im Stadion wird es nun zunehmend lauter; ehrlicherweise sei gesagt, gemessen an der Zahl der Leute, die heute da sind, war die erste Halbzeit schon okay. Trotzdem, in Hälfte zwei passiert genau das, was wir nach meinem Gefühl zuletzt im Kollektiv haben vermissen lassen, was wir nur noch aus der Erinnerung kennen, oder aus der Beobachtung von Teams, die deutlich hinter uns liegen: Wir kämpfen.

Wir wehren uns nicht nur so ein bisschen, wir hauen uns rein. Die Tribünen beben unter dem Alarm, den wir Fans machen. Die Spieler beißen sich in die Zweikämpfe, halten drauf, ziehen nicht zurück, stehen füreinander ein. Es mag pathetisch klingen, aber so, wie der alte Geist des Bruchwegs im Bezug auf Jubel und schöne Momente schon lange den Sprung rüber in die Arena geschafft hat, so sind heute auch endlich Kampfgeist und Wille für Krisenzeiten in den Feldern angekommen. 

Und es mag ein Zufall sein, dass um mich herum auffällig viele Fans die „Mission 15“ Jacken anhaben, es mag auch ganz profan am Regen liegen. Aber es ist genau dieser Geist, der uns heute antreibt, es ist genau dieser Geist, den wir in der aktuellen Situation so dringend brauchen.

Choupos Tor in der 82. Minute war wunderbar, und klar liegt Hoffnung in einem solchen Treffer. Aber das Ding heute noch drehen? Schwer zu sagen... Bangen, Regen, Hoffnung, Regen, Tor, Abseits, noch mehr Regen... Das Ding scheint durch, aber immerhin, auf die Leistung und Einstellung in der zweiten Hälfte können wir aufbauen. Drei Minuten Nachspielzeit, alle geben noch einmal alles – einfach, um uns selbst zu beweisen, wir sind Mainzer. Das haben wir nicht vergessen. Das hat etwas zu bedeuten. Und es wird uns durch die schwierige Zeit, die ohne Zweifel vor uns liegt, helfen.

T-O-R in der 92. Minute. Was für ein unvergleichliches Gefühl, was für eine Erleichterung. Nein, ich heule nicht, das ist der Regen. Nein, mich schüttelt’s nicht, das ist die Kälte. Was für eine Bude! Oh, welch pures Glück pocht durch meine Adern...

Ach und, liebe Bei-Regen-und-Nach-Niederlagen-Zuhause-Bleiber, ihr werdet nie wissen, wie geil sich ein solches Tor anfühlt. Wir aber wissen, dass wir euch nicht brauchen. Wir haben den Alarm heute ganz ohne euch gemacht. Mit irgendwas um die 20.000 ein Stadion mit Lärm und Liebe erfüllt, in das 34.000 reinpassen; wenn sie denn wollen. Und mit unserem Team einen Punkt geholt, der sich anfühlt wie ein Sieg. Danke, bitte, Tusch, abtreten, Auswärtssieg.

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Mittwoch, 18. September 2013

Auszug aus »Die TORToUR« #33 – We’ve got the Book!

Wir geben es ja zu – die TORToUR-Redaktion ist voreingenommen gegenüber »111 Gründe, Mainz 05 zu lieben«. Was sollen wir zu einem Buch sagen, in dem es auf 261 Seiten um nichts anderes geht als die Liebe zu unserem Verein? Das von zwei Kollegen geschrieben wurde, mit denen wir uns den Deckel beim Redaktionstreffen teilen, bei Wind und Wetter gemeinsam das schee Heftsche verkaufen und nichts lieber tun, als über Fußball im Allgemeinen und den FSV im Besonderen zu philosophieren: »Kauft das Buch nicht«? Also bitte, das kann man von uns nicht verlangen.



Aber im Ernst: »111 Gründe« ist ein großer Spaß. Weil die Autoren die richtige Mischung aus unterhaltsamem Kokolores und wichtigen Meilensteinen der Vereinshistorie zusammengetragen haben. Weil die unendliche Geschichte, die in Mainz mit den Worten »Damals, als Noveski getackert wurde« beginnt, beim Leser unweigerlich Phantomschmerzen auslöst. Weil das Thurk-Denkmal in dreizehn Zeilen errichtet, umgekippt und wieder aufgestellt wird und die Innenministerkonferenz in gerade zehn Zeilen den Narhallamarsch gesungen bekommt: Mehr hätte sie auch nicht verdient.



Wer nicht den kompletten Backkatalog der TORToUR und die Vereinschronik auswendig gelernt hat, bekommt Momente der Überraschung, Geschichten zum Schmunzeln und Hintergrundwissen zum Klugscheißen beim Halbzeitgespräch geliefert. »Vieles ist normal geworden«, schreiben die Autoren im ersten Kapitel. »Spiele gegen Stuttgart sind nicht mehr per se Feiertage, wir haben uns an sie gewöhnt. Nach der traurigen Rückrunde (...) mussten wir uns die Frage stellen lassen, ob es überhaupt 111 Gründe gibt, Mainz 05 zu lieben, und ob wir unser Buch nicht lieber 111 Gründe, Mainz 05 geliebt zu haben nennen wollten.«

Jeder Fan weiß, dass solche Gedanken die Sommerpause selten überleben und die neue Saison ja eh wieder bei Null losgeht. Für uns nicht: Wir haben schon 111 Punkte.





War das eine Aufregung: Mara war auf ihrem Balkon unter zig Kubikmetern Lektoratsfahnen verschüttet, Christian zwischen Schillerplatz und Rhein verschollen, Oli von Weinmarktbesuchern eingekreist. Dank modernster Technologie haben wir es dennoch geschafft, zum Interview zusammenzufinden. Und es gibt sogar etwas zu gewinnen!

Der Buchtitel klingt nach einer Idee, die einem beim zweiten Schoppen einfällt. War es so?    Wo unser Verleger Oliver Schwarzkopf und unser Agent Dr. Martin Brinkmann die Idee ausgekaspert haben, trinkt man andere Dinge, aber grundsätzlich könnte es so gewesen sein. 

Wollte eigentlich der Verlag 100 Gründe, Mainz 05 zu lieben, und Ihr habt auf 111 bestanden?     Genau genommen wollten wir zehnmal elf Gründe liefern und die letzte Seite leer lassen, damit unsere Leser ihren eigenen Grund eintragen können. Wir würden wirklich gerne behaupten, dass die Elf unsere Idee war, würden damit aber sehr schnell auffliegen. Der Verlag bringt schon seit Jahren Bücher in seiner 111er-Reihe heraus. Die Fußballbücher sind lediglich der neueste Streich. Wäre aber mal interessant, wie die damals eigentlich genau auf 111 gekommen sind. Hm... (Inzwischen wissen wir, auch dabei war Alkohol im Spiel...)


Ab welcher Zahl war es wirklich harte Arbeit, weil der Riesling leer und das Buch noch nicht voll war?
Schwierig wurde es ab der Nummer 136... Im ersten Brainstorming haben wir schon gemerkt, dass wir alleine mit Spielern, die wir gerne würdigen wollten, die 111 locker voll bekommen hätten. Es war harte Arbeit, uns auf 111 Gründe zu beschränken. Das Weglassen von Themen war schwieriger als das Schreiben der nun im Buch vertretenen Texte. Denn das hat Spaß gemacht. Wichtige Ereignisse und Menschen zu streichen, hat dagegen wehgetan. Und seit die neue Saison läuft, ist es richtig schlimm, weil wir dauernd weitere Texte über den tollen Start schreiben wollen, über den unfassbar grandiosen Choupo, die tollen Neuen, die Stimmung in der Schluss­phase des Wolfsburg-Spiels – und dann feststellen müssen: Mist, geht ja gar nicht mehr, das Buch ist längst voll!


Euer Grund Nummer 1 heißt »Weil wir nur ein Karnevalsverein sind«. Ist das der wichtigste – oder warum steht er am Anfang?
Die Karnevalsnummer ist einfach so verbunden mit Mainz 05, das ehemals verhohnepipelnde Gesinge der Gegner, das zum positiven Selbstbild wurde, dass es auf jeden Fall ganz weit vorne stehen musste. Und dann war es uns wichtig, einzusteigen mit dem Selbstverständnis, mit einem kleinen Charakterabriss, wie wir den Verein und uns als die Fans verstehen. Das passte natürlich alles bestens unter genau dieses Dach.

Wie einig wart ihr euch?

Was die Zusammenstellung der Gründe angeht, waren wir uns fast immer überraschend schnell einig. Auch wenn mal einer von uns ein Thema vorgeschlagen hat, das der andere erst nicht auf dem Schirm hatte, war es in aller Regel unkompliziert, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Was sicher hilft ist, dass wir häufig ähnliche Einschätzungen oder auch so kleine Schwächen haben. Wir bauen seit Jahren gemeinsam und heimlich ein Dimo-Wache-Denkmal. Wir finden Thomas Tuchel absolut sensationell und simsen uns bei jedem Gegentreffer dieser Saison, Wetti hätte den gehabt. Das war also leicht. Komplizierter wurde es eher bei den Texten selbst. Wir haben vieles gemeinsam verfasst und uns gegenseitig lektoriert, da gab es manchmal richtig Zoff. Auch, weil wir da gnadenlos waren miteinander, Sachen gestrichen haben, auf Kleinigkeiten rumgeritten sind. Da wurde es manch­mal sogar laut, aber selten blutig. Und am Ende gab es Eis und alles war wieder gut.

Bei welchem Punkt wird selbst der langjährige Allesfahrer sagen: Stimmt, war mir bisher gar nicht bewusst?

Hoffentlich bei ganz vielen, denn es hat ja einfach jeder andere Erinnerungen. Uns ging es auch so, wenn wir unsere Texte gegenseitig gelesen haben – man entdeckt dabei immer noch Neues. Und natürlich sind etliche Fakten drin, die man nicht alle ad hoc weiß oder vielleicht tatsächlich zum ersten Mal liest.


Text & Interview: Oliver Heil





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verlosen wir drei Exemplare des Buches.


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