
Nun geschah etwas Seltsames. Ich hätte erwartet, meine Mutter würde böse werden. Wenn ich je die Kontrolle über mein Lächeln und Schweigen verlor und heulte oder schrie, weil etwas anders lief, als ich es mir vorgestellt hatte, zog ich mir stets den Unwillen meiner Mutter zu. Vorbei war es mit dem guten Jungen, dem Sonnenschein oder dem Stolz ihrer besten Jahre – sie verzog angewidert das Gesicht, als wäre ich ein ekliges Insekt, strafte mich nie, indem sie ebenfalls laut wurde oder schimpfte, sondern indem sie mir auf unbestimmte Zeit ihre Liebe und Aufmerksamkeit entzog; nichts schmerzte mehr!
Aber – nichts dergleichen! Meine Mutter sah mich an, als hätte sie mich noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen. Ihre Tränen versiegten im Bruchteil einer Sekunde. Mit einer eigentümlichen Faszination betrachtete sie den Rotzfaden, der noch immer aus meiner Nase auf den Kuchen tropfte. Und plötzlich begann sie zu lachen. Sie schüttelte sich vor lachender Begeisterung, gluckste und wieherte, dass es einem angst und bange werden konnte, und ich für einen Moment befürchtete, sie habe den Verstand verloren. Ich war hin und her gerissen. Einerseits hätte ich am liebsten noch lauter geschluchzt ob der neuerlichen Irritation, auf der anderen Seite war ich so verwirrt, dass mir das Weinen fast zu anstrengend vorkam. Da plötzlich streckte sie mir ihre Hände entgegen und ich stolperte rotzend und heulend in ihre Umarmung, stieß mir dabei den Knöchel an der Kuchenform und heulte noch lauter, bis ich endlich in ihrer Wärme ankam und mir der wohlige Geruch ihrer Brüste in die Nase stieg.
Ich war stets aufs Neue fasziniert davon, was eine Brust alles in sich vereinte. Sie war weich wie der Samt auf unseren Wohnzimmerstühlen und schien doch straff und belastbar wie mein frisch aufgeblasener Wasserball. Sie roch frisch wie eine Sommerwiese und herb wie der einsetzende Herbst, sie war aufregend und beruhigend zugleich und ich wollte sie einfach nur besitzen, eine nach der anderen, alle, die die Welt zu bieten hatte.
Zwischen den Brüsten meiner Mutter, den Daumen im Mund, war es ein Leichtes, sich zu beruhigen. Zumal ich überwältigt war von der plötzlichen, unerwarteten Zuneigung. Sie wiegte mich sanft, flüsterte mir zu, dass ich ihr Sonnenschein war, ein guter Junge. Ihre Worte beseelten mich. Den verunglückten Kuchen in einem Plastiksack, den wir auf dem Weg zum Auto in den Mülleimer warfen, machten wir uns doch noch auf zum Schwimmbad. Trotz des Vorfalls mit dem Kuchen und der Scham über meinen unkontrollierten Ausbruch in der Küche war ich glücklich, denn ich hatte noch den frischen Duft der mütterlichen Brust in der Nase. Und zum Ausgleich für den Verlust der selbstgebackenen Süßigkeit hatte meine Mutter mir eine Currywurst im Schwimmbad versprochen, ein Genuss, in den ich selten kam.
Endlich waren wir im Schwimmbad. Die vielen Frauenzimmer zu belauschen und zu beobachten machte hier noch mehr Spaß als anderswo, da sie halbnackt umherliefen. Und meine Position war perfekt, zumal niemand etwas Böses hinter meinem unschuldigen Augenaufschlag erwartete. Ich lag in der Wiese, den Kopf mal in die Hände gestützt, dann wiederum auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und beobachtete diese zauberhaften Wesen, die gerade einfältig genug waren, dass sie mir eben dies nicht zutrauten, aber nicht dumm genug, um abschreckend auf mich zu wirken.
Ich wusste zwar von meinem Vater, dass die Intelligenz nicht unbedingt ausschlaggebend sein sollte bei der Wahl eines Frauenzimmers, aber die Dummen redeten auch dummen Zeugs; das irritierte mich. Wenn ich das Gefühl hatte, die Gespräche konnten einen gewissen Anspruch nicht halten, begannen sie schnell, mich zu langweilen. Meine Mutter aber war eine kluge Frau und auch die meisten ihrer Freundinnen waren schlau und sprachen auf eine Art und Weise, die keinen Geist beleidigte.
Die Brille auf der Nasenspitze festgeklemmt saß meine Mutter in der Wiese und las. Bisher hatte sich noch keine ihrer Freundinnen blicken lassen, aber das konnte daran liegen, dass es noch nicht wirklich heiß war um diese Zeit, es war gerade halb elf, zudem noch nicht einmal Juli, und das Schwimmbad hatte letzte Woche erst eröffnet. Sicher würden sie im Laufe des Nachmittages eintrudeln. Überhaupt war das Schwimmbad nicht sehr voll, was ich aber als einen Vorteil ansah, denn wenn zu viele schöne Frauen auf einem Haufen auftreten, ist es oft schwer für den Blick eines Mannes, sich einen Punkt zum Verweilen auszusuchen. So aber konnte ich eine Insel aus Handtüchern nach der anderen anpeilen, die Frauen und jungen Mädchen in aller Ruhe mustern – und den Blick schließlich weiterschweifen lassen.
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