
Buben! Sie nannten die Jungs Buben! Mir verschlug es den angehaltenen Atem und ich wurde so aufgeregt, dass ich husten musste. Die Jungs blieben ruhig und höflich. Sie beschwerten sich nicht über die Belagerung ihrer Tischtennisplatte, sie titulierten die Mädchen nicht mit Unverschämtheiten, vielmehr lächelten sie schüchtern und rangen sich ein einziges Wort ab: „gut“. Aber die Mädchen hörten die vorsichtig hervorgebrachte Antwort gar nicht, denn sie waren mit etwas beschäftigt, wovor ich mich den Rest meines Lebens fürchten würde – sie lachten. Und ich meine nicht das bezaubernde, glockenhelle, amüsierte Kichern, dass ich bisher mit dem weiblichen Geschlecht in Verbindung gebracht hatte, ich meine ein abfälliges, hässliches Gelächter, von dem ich nie geglaubt hätte, es könne aus so perfekt geformten, jungen, unschuldigen Hälsen kommen.
Es war zum Fürchten, und es war auch so gedacht, denn sie lachten die Tischtennisspieler aus. Ich begriff schnell warum, und es tat mir weh. „Habt ihr denn schon Haare auf den Bällen?“, schrie meine Schöne die beiden an, die anderen fünf quietschten vor Begeisterung. Die Jungs blieben immer noch ruhig, aber ich sah, wie sie rot wurden und ihr Körper drückte schmerzhaft aus, wie sehr sie sich schämten. Zum ersten Mal seit Beginn dieses seltsamen Schauspiels hatten sie ihr Spiel völlig unterbrochen. Der Schmächtigere der beiden hielt den Tischtennisball fest in der einen Hand, in der anderen den Schläger – und für einen Moment setzte er einen Gesichtsausdruck auf der sagen wollte, sie sollten nicht zu weit gehen. Aber so wie er ihnen seinen Kopf zuwandte verschwand der trotzige Ausdruck und machte einem Platz, der Furcht ausdrückte: Furcht vor etwas Unbekanntem, das er auf sich zukommen sah und von dem er wusste, er würde sich nicht davor schützen können.
Das Mädchen direkt neben ihm streckte die Hand nach seinem Schatz aus: „Lass uns mal spielen!“, forderte sie ihn auf. Er sah unsicher zu seinem Mitspieler. Doch die drei Mädchen waren von der Platte zu einem hingelaufen, um ihn zu umzingeln, die anderen umzingelten den, der den Ball hielt – so wurde es für die beiden unmöglich, Blickkontakt miteinander aufzunehmen und sie übergaben ihre Schläger kampflos. Albern, kichernd und prustend machten sich die Mädchen abwechselnd über die Tischtennisplatte her. Sie trafen keinen einzigen Ball; vielleicht konnten sich die Jungs damit trösten. Mir war kein Trost geblieben. Ich beobachtete das Schauspiel mit einem wachsenden Gefühl von Ekel, Wut und blankem Entsetzen. Ich verstand die Welt nicht mehr.
Frauen, Frauen waren schön und deshalb beeindruckend, sie besaßen eine gewisse Schläue, ohne so klug zu sein, dass sie einem Mann eine ernsthafte Gefahr darstellten, sie waren liebend und gut, waren Mütter, Tanten und Schwestern, sie trugen stolze Brüste vor sich her und rochen nach mehr, auch nach Meer, nach Sommer, nach einer steifen Brise, sie rochen wie Flüsse, waren die Natur, der Ursprung der Dinge und hatten ein großes, gutes Herz. So waren Frauen… so hatte ich gedacht dass Frauen wären… so aber waren sie: nicht.
Frauen waren nicht harmlos, waren nicht Mütter, Tanten und Schwestern oder wohlriechende Backstuben. Vielmehr waren sie Walküren, Kriegerinnen, aber nicht im Namen der Ehre oder Gerechtigkeit, sondern mit dem Auftrag, die Männer zu unterwerfen. Sie waren fies und gemein, hinterlistig und – was das Schlimmste war – nicht nur schlau, sondern auch klug und gerissen; und offenbar übertraf ihre Intelligenz die der Männer. Zu alledem waren sie mit körperlichen Reizen ausgestattet, die den letzten, jämmerlichen Rest männlichen Verstandes unter die Vorhaut seines verdammten Schwanzes kehrten: Sie waren uns über! Ich konnte und wollte es nicht begreifen.
Die Mädchen verloren schnell das Interesse am Tischtennis. Achtlos warfen sie Schläger und Bälle in die Wiese und wanderten weiter auf ihrem blutigen Streifzug. Die beiden Spieler näherten sich vorsichtig ihrem Eigentum, aber auch ihnen war die Lust am Spiel vergangen. Sie sammelten ihr Hab und Gut ein und trollten sich. Unvermittelt stand plötzlich meine Mutter hinter mir und drückte mit der Hand sanft meine Schulter. Ich wollte mich in ihrer Umarmung betäuben und ihr erzählen, was ich Fürchterliches gesehen hatte, doch wurde mir bewusst, sie war eine von ihnen! Mein Weltbild zerbrach. Mein Leben war nichts mehr wert.
Meine Mutter spürte zwar, dass eine Veränderung in mir vorgegangen war, bohrte aber nicht weiter nach. Ich hätte es ihr niemals sagen können. Denn eines begriff ich in Sekunden: nicht allen Männern erschloss sich die Gewaltherrschaft der Frauen so früh wie mir, manch einer begriff es nie und ließ sich sein Leben lang einlullen vom süßen Duft ihrer Weiblichkeit. Wäre ich nur einer von denen geblieben… Denn was das Schlimmste war: Obwohl ich die schäbigen Absichten der Frauen früh durchschaute, konnte ich mich ihrem Reiz nie entziehen.
Ich heiratete früh und bekam drei Töchter. Die Ehe zerbrach, weil ich mich mit einer Jüngeren einließ und die Scheidung ruinierte mich finanziell. Meine Töchter sprachen nie wieder ein Wort mit mir, nachdem ich meine dritte Frau, jünger als die Mädchen selbst, geheiratet hatte. Meine zweite Frau nahm sich ihr verkorkstes Leben in der heimischen Badewanne, nachdem sie dahinter gekommen war, dass ich sie mit der Nachbarstochter betrog; nicht ohne einen Brief zu hinterlassen, indem sie mir die Schuld gab für ihr Leid. Ihre Schwestern quälten mich fortan mit bösen Briefen – und was ich nach meiner Scheidung an bescheidenem Vermögen wieder zusammengetragen hatte, fraßen die Schadenersatzklagen fast gänzlich auf. Alles in allem war es ein elendiges Leben.
Doch es zog nicht vorüber, ohne mir einen späten Triumph zu gönnen: Als ich 57 war, gebar mir meine vierte Frau einen Sohn. Nach all den kleinen Mädchen, die ich dem Bund der Walküren unfreiwillig zur Verstärkung beigesteuert hatte, endlich einer, der war wie ich! Ein kleiner, prächtiger Schwanzträger, ein Mäxchen! Er ist heute etwa so alt wie ich damals, im Schwimmbad. Doch er wird nicht arglos ins offene Messer laufen. Ich werde da sein und ihn schützen, wenn es so weit ist, dass die Frauen sich seiner armen Seele bemächtigen. Er wird meinen Erfahrungsschatz zu seinem machen und an die eigenen Söhne weitergeben. So dass vielleicht irgendwann die Männer der Übermacht der Frauen doch entfliehen können.
Ob das jedoch wirklich einmal möglich sein wird, vermag ich erst endgültig einzuschätzen, wenn ich nicht mehr auf dieser Erde wandle. Denn eine einzige, quälende Frage ist mir seit jenem Sommertag geblieben, die ich mir nicht mit Sicherheit beantworten kann, bevor ich nicht dort angekommen bin, wo alles irdische Leben unweigerlich endet. Dann endlich werde ich erfahren, ob Gott eine Frau ist…
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