
Flirten ist auch nicht mehr das, was es mal war. Nämlich anständiger Spaß, der ein bisschen Mut erfordert und Kribbeln im Bauch bringt. Aber wir werden ja alle immer komplizierter. Deswegen ist es auch so schwer geworden, einfach mal jemanden anzusprechen, der einem beispielsweise im Biergarten aufgefallen ist. Könnte ja peinlich werden – und peinlich, das geht gar nicht.
Macht aber alles nix: es gibt ja noch das Internet. Unendliche Flirt-Weiten. Und jede Menge Singles, die genau wissen, was sie wollen; zumindest so in etwa. Den da mal abchecken. Die da mal kennenlernen. Bisschen mailen – herrlich ist das, muss man gar nicht mehr die Wohnung für verlassen, kann man direkt daheim unglaublich viele neue Leute kennenlernen. Vielleicht sind das in Wahrheit zwar totale Spinner, Langweiler oder Axtmörder. Aber macht auch nix, denn die meisten bekommt man doch eh nie zu Gesicht.
Den Internetflirtern, die es nun komplett verlernt haben, auf der Straße einfach mal so jemanden anzuquatschen, hat die Bekleidungsindustrie eine Hilfe zur Hand gegeben: herrlich kecke Mottoshirts. Gar nicht lange rumlabern, einfach alles, was wichtig ist, direkt vorne drauf auf die Brustbekleidung. Funktioniert prima. Habe ich gerade am Wochenende wieder erlebt. Da kam mir ein Mädel mit einer ziemlich beeindruckenden Oberweite entgegen, auf der prangte der Spruch: „Die beiden haben heute Ausgang“. Ich wusste jetzt nicht so genau, ob das eine Aufforderung zum Tanz war oder der Versuch, dem Gegenüber Angst zu machen – aber andererseits war das ja sicher auch nicht an mich gerichtet.
Dann schon eher der coole Typ mit den zurückgegelten Haaren, von dessen in schwarze Baumwolle gehüllter Brust es mich in neon-pink anschrie: „Baby, get back to work and do your Blowjob“. Zum Glück hatte ich meine Sonnenbrille auf, so dass ich seinem Versuch eines Blickkontaktes aus dem Weg gehen konnte. Wer fühlt sich von so was angesprochen? Ebenfalls sehr nett: „Single für eine Nacht“ – das freut sicher auch den Freund, wenn er am nächsten Tag in die Stadt zurückkehrt und dieses Shirt seiner Liebsten in der Tonne mit der Dreckwäsche ganz obenauf findet. Daneben vielleicht zerknüllt ihr heißester Schlüpfer – aber wer wird sich denn da gleich Gedanken machen.
Natürlich war das längst nicht alles. Neben den sehr bemühten Versuchen eines Brust-Satzbaus begegnen mir auch Menschen, die sich offenbar gerne mit einem einzigen Wort beschreiben lassen – und zwar aussagekräftig: „Miststück“, „Schlampe“, „Fickgott“ und „Geilomat“ sind unter anderem bei mir hängen geblieben. Nicht direkt genug? Aber bitte sehr. Es geht natürlich noch schärfer. „Suck my dick“, fordert stumm die Brust eines Typen in meinem Alter, der ohne das Shirt vielleicht sogar einen netten Eindruck gemacht hätte. Vielleicht sollte er sich mit der kleinen Rothaarigen zusammen tun, die uns entgegen kommt und deren Shirt die Worte „Horny Bitch“ zieren. Ich bin sicher, die beiden hätten ihren Spaß.
Ob sie sich auch etwas zu sagen hätten, sei mal dahin gestellt – aber ewig lässt sich eine solch stumme Verständigung ja nicht fortsetzen. Spätestens wenn die zwei alleine sind, kommt irgendwann der Punkt, an dem sie sich unterhalten müssen – sei es vielleicht auch erst, nachdem sie sich im Bett stumm, aber rhythmisch miteinander beschäftigt haben. Wenn sie dann also nackt in jeder Hinsicht nebeneinander in den zerknüllten Laken liegen, ohne den Schutz ihrer Brustbuchstaben, werden sie da tatsächlich ein paar Worte wechseln? Oder müssen sie dafür erst wieder zurück an den heimischen Rechner, um sich gegenseitig zu googeln – und dann online miteinander zu chatten? Vielleicht haben sie aber auch vorgesorgt, und können sich stumm gegenseitig mit dem Shirt für den Morgen danach vor der Nase herumwedeln…
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