Der geneigte Leser wird sich jetzt vielleicht fragen, was
soll denn das sein – keine Sorge: Ich erkläre es. Mitbürger mit allgemeinem
Erziehungsauftrag sind all jene, die in der festen Überzeugung leben, sie
hätten jedem Hans & Hänschen, das ihren Weg kreuzt, etwas zu sagen.
Natürlich immer zum Wohle der Allgemeinheit und aus zwei festen Überzeugungen
heraus, die da lauten: Bei dem, was die meisten Eltern an Erziehungsarbeit
leisten, muss nachgebessert werden. Und: Sie wissen eben alles besser und
kennen jede Regel, da ist es doch nur gut und richtig, das zu teilen.
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No trespassing or you'll be reportet. Wait for it! (Foto: Marieke Stern) |
Beispiele gefällig?
Wiesbaden Innenstadt am Wochenende. Zwei Kinder, vielleicht
sieben und zehn, stehen auf dem Bürgersteig und genießen bei herrlichem
Spätsommerwetter ihr Eis, der jüngere der beiden popelt dabei mit einem Finger
der freien Hand hingebungsvoll in der Nase. Da nähert sich eine ältere Dame,
greift dem Bub an den Arm und herrscht ihn an: „In der Nase bohren gehört sich
nicht.“ Dem Kind fällt vor Schreck fast das Eis aus der Hand, die Alte hingegen
ist von ihrer kleinen Intervention derart angetan, dass ihr offenbar die rote
Fußgängerampel nicht bewusst ist, als sie anschließend ungerührt über die
Straße tapert.
Mainz Innenstadt, Römerpassage, kurz vor Schließung. Ein
Jugendlicher flitzt mit seinem Rad auf die Passage zu, in der ein Mann
mittleren Alters die Auslagen der Schaufenster der bereits geschlossenen Läden
betrachtet. Moment, denkt der sich wohl, hier drin sind Fahrräder verboten. Als
der Radler auf seinem Gefährt in die Passage kommt, setzt der Mann zum
Hechtsprung an, brüllt: „Absteigen!“ Der junge Mann latscht auf die Bremse,
fliegt vom Drahtesel und wird mit den Worten bedacht: „Sowas kommt davon, wenn
man sich nicht an die Regeln hält.“
Besonders schlimm sind die erziehenden Zeitgenossen (denen
ja niemand abspricht, dass sie hin und wieder inhaltlich halbwegs richtig
liegen – was aber derlei Einmischungen nicht rechtfertigt) im Straßenverkehr.
Mein persönlicher Leidenshöhepunkt in dieser Hinsicht wird dadurch erreicht,
dass mein Pkw-Stellplatz von der angrenzenden Fahrbahn durch eine Busspur getrennt
ist – die also von den Anwohnern gekreuzt werden muss, daran führt kein Weg
vorbei.
Leider wird eben jene Busspur von anderen Autofahrern auch
gerne als Abkürzung genutzt, was selbstverständlich die Mitbürger mit
Erziehungsauftrag auf die Palme bringt. In der Folge sind mir, wenn ich
versuche, hier auf die Straße zu fahren, schon „wunderbare Dinge“ passiert: vom
wütenden Hupen über den geschwenkten Bockfinger hin zu ganz findigen
Zeitgenossen, die mit ihrem Wagen kurzzeitig meinen Fahrweg blockieren – alles
nur, weil ich aus meiner Einfahrt will.
Man möchte wütend werden im Angesicht solcher Menschen,
zurückbrüllen, sie schütteln, zur Räson bringen. Aber das wäre der falsche Weg,
denn derlei Erziehungseifer kann eigentlich nur daher rühren, dass sie bis
hierher in ihrem Leben schon zu viel geschüttelt wurden. Besser wäre es also
vielleicht, ihnen Schokolade zu schenken. Oder einfach ein Lächeln. Aber nur
ganz zart, nicht dass sie ob der ihnen unbekannten Mimik erschrecken und über
die nächste rote Ampel flüchten…
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