Montag, 10. Juni 2013

Schnürsenkel des Tages

Ich erinnere mich dunkel an die Zeiten, in denen an meinem Schreibtisch ein Tintenstrahldrucker seinen Dienst verrichtete: Zum Glück ist das lange vorbei. Klar, der konnte Buntes, er brauchte aber auch 63 verschiedene Patronen und die mussten stündlich gewechselt werden. Mein Laserdrucker hingegen verrichtet seit rund sieben Jahren treu seine Dienste, und alles, was er in der Zeit wollte, waren ein paar Tonerauffrischungen: Dankeschön.

Kürzlich war es dann mal wieder so weit. Die Ausdrucke kamen mit leichtem Schleier aus dem Schlund der Maschine, und irgendwann hatte die Lesbarkeit auch für Dinge, die nicht verschickt oder anderweitig weitergegeben werden so weit nachgelassen, dass es Zeit wurde für eine erneute Befüllung der Patrone. Also ab zum Laden meines Vertrauens…

Schon Bukowski wusste, es sind die Kleinigkeiten, die uns in den
Wahnsinn treiben: langsam, aber sicher. (Foto: WP)

„Hallo, ich würde gerne die Laserkartusche hier wieder befüllen lassen.“
Verkäufern besieht sich die Kartusche kritisch, schaut mich an.
„Wir haben gerade keinen Toner.“
Da keine weitere Erklärung folgt, setze ich nach einem Moment des Schweigens ein gedehntes, „Okeh?“ in den Raum.
Die Verkäuferin mustert weiter die Kartusche.
„Ich frag mal den Chef, ob wir die da haben.“
Nach ein paar Minuten kehrt sie zurück.
„Ne, haben wir nicht.“
„Was denn?“
„Ihre Kartusche.“
Meinem fragenden Gesichtsausdruck kann die Dame offenbar entnehmen, dass ich den Faden verloren habe.
„Der Toner ist alle. Wenn Ihre Kartusche noch mal da wäre, hätte ich Ihnen die mitgeben können. Also, eine von uns.“
„Ach so. Ich würde aber eigentlich eh am liebsten die Originalpatrone behalten.“
Pause.
„Wir haben gerade keinen Toner.“
„Wann kriegen Sie denn neuen?“
„Kann Donnerstag werden.“ (Es ist Montag.)
„Kann ich denn die Kartusche hier lassen?“
„Klar. Ah, Moment, mir fällt noch was ein.“
Nach ein paar Minuten kommt die Verkäuferin mit einem Karton wieder, hält ihn mir hin und sagt: „Das macht neunundvierzichneunzich.“
„Äh, was jetzt genau?“
„Die Kartusche.“
Ich rubble mir die Schläfen.
„Was ist das denn für eine Kartusche?“
„Wie Ihre. Also, quasi. Ist ein Nachbau, für ein anderes Modell. Müsste aber auch bei Ihrem passen.“
„Kann ich die mal sehen?“
„Die ist eingeschweißt.“
„Ich würde gerne schauen, ob die wirklich baugleich sind.“
Mit einem gewissen Umstand öffnet die Verkäuferin die verschweißte Verpackung. Sie hält die nachgebaute Kartusche gegen meine, die beiden sind sich ähnlich, aber nicht baugleich.
„Ne, das ist nett von Ihnen, aber ich warte dann doch lieber, bis meine aufgefüllt ist.“
„Wie Sie wollen. Wir rufen dann an.“

Der Donnerstag kommt, der Donnerstag geht – nichts passiert. Das Wochenende kommt, das Wochenende geht – nichts passiert. Ich rufe also montags in dem Laden an.

„Hallo, ich habe vor etwa zehn Tagen eine Kartusche zur Befüllung bei Ihnen abgegeben und wollte mal fragen, ob die fertig ist.“
„Haben Sie einen Abholschein?“
„Ja.“
„Schauen Sie mal, da sind so sechs Nummern drauf.“
Ich überfliege den Abholschein, sehe aber nur eine Nummer und gebe das durch.
„Nein, da sind sechs Nummern. Und davon brauche ich drei.“
Bei mir fällt der Groschen.
„Ach, Sie meinen Ziffern!“
Lachen.
„Oder?“
„Ne, nicht Ziffern. Zahlen! Die letzten drei.“
Leicht verwirrt gebe ich die geforderten Ziffern durch. Aus der Leitung erklingt ein Tuten.
„Hallo?“
Stille. Ich wähle erneut.
„Hallo, ich hatte eben angerufen wegen meiner Kartusche, aber offenbar bin ich aus der Leitung geflogen.“
„Ne, ich habe Sie weggedrückt.“
„?“
„Die Kartusche ist fertig.“
„Ah okay. Weil die Kollegin meinte, dass ich Bescheid kriege, wenn die zurück ist.“
„Jo. Ist vielleicht noch nicht so lange fertig. Keine Ahnung.“

Eine halbe Stunde später, im Laden.

„Hallo, ich wollte gerne meine Kartusche abholen.“
„Abholschein?“
Ich händige den Schein aus und bekomme die Kartusche. Von einer plötzlichen Eingebung gesegnet, öffne ich den Karton.
„Die ist eingeschweißt.“
„Ja, ich weiß, ich würde sie aber gerne aufmachen.“
„Da brauchen Sie eine Schere.“
„Mhm, ja. Könnten Sie mir bitte gerade eine geben?“
Ich erhalte die gewünschte Schere, öffne die Verpackung – drin ist, na klar, die falsche Kartusche. Ich weiß nicht, ob ich lachen, heulen oder einfach den Laden verlassen soll, erinnere mich rechtzeitig an die Vorkasse und sage freundlich.
„Das ist leider nicht meine Kartusche.“
„Oh.“
„Als ich meine abgegeben habe, meinte die Verkäuferin, ich könnte stattdessen auch eine baugleiche mitnehmen. Ich hätte aber gerne meine aufgefüllt. Das hier ist nicht meine.“
„Ja, dann weiß ich auch nicht, wo Ihre ist.“
Ich spüre leichten bis mittelschweren Unwillen in mir aufsteigen.
„Ich weiß, dass Sie da vermutlich nichts für können, aber ich warte seit zehn Tagen auf meine Kartusche…“
„Die ist schon seit Donnerstag fertig.“
„Wovon ich nichts wusste, weil mich niemand angerufen hat. Und jetzt ist es die falsche. Das ist schon ein bisschen ärgerlich.“ 
Der Verkäufer beginnt, einige der umliegenden Kartons zu öffnen.
„Was ist das für eine Marke, Ihr Drucker?“
„Samsung.“
Ich habe ein bisschen das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen.
„Es ist halt noch die Originalpatrone. Bei der würde ich gerne bleiben. Ich hatte es auch extra dazugesagt, als ich sie abgegeben habe.“
„Mhm.“
Der Verkäufer verschwindet. Nach einer Weile kommt er wieder und in der Hand hält er – meine Kartusche! Ich strahle.
„Prima, genau! Das ist meine.“
„Die ist aber nicht aufgefüllt.“
Mir auch schon fast egal.
„Macht nichts, dann füllen Sie die einfach auf und ich hole sie ab, wenn sie fertig ist.“
„Wir haben aber gerade keinen Toner.“
„Mhm.“
„Ich kann Ihnen die andere mitgeben. Die sollte auch passen. Kann ich hier auch kurz testen.“
„Ne, danke, das ist echt nett, aber ich hätte gerne meine wieder.“
Ich deute auf ein besonders ausladendes Teil meiner Kartusche, das normalerweise im Inneren des Druckers liegt.
„Die hat auch hier dieses viel längere Teil, da wird das Papier sauberer angezogen. Schauen Sie, das ist bei der anderen nur so ein Stummel.“
„Ja, da wird gespart.“
Ich lächle, in der Annahme, mit dieser Aussage habe der Verkäufer mein Anliegen verstanden.
„Was machen wir denn jetzt?“
„Es wäre toll, wenn Sie meine Kartusche befüllen könnten. Bezahlt ist ja schon.“
„Wir haben aber gerade keinen Toner.“
Seufzer.
„Wann kriegen Sie denn wieder welchen?“
„Kann Donnerstag werden. Wir rufen dann an.“

*


 

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