Man kann mir nun, Manuel Friedrich hin, André Schürrle her,
beileibe keine besondere Nähe zu Bayer Leverkusen vorwerfen. Und zu behaupten,
ich hätte eine besondere Beziehung zu Stefan Kießling oder eine Haltung zu der
Frage, ob der Stürmer Nationalmannschaft spielen sollte oder nicht, wäre eindeutig zu hoch gegriffen. Aber was sich seit dem Bundesligastart ins Wochenende am Freitagabend unter dem
Deckmäntelchen einer Fairnessdiskussion gegen den Spieler ins Netz ergießt,
empfinde ich in weiten Teilen als dumm, niederträchtig und mit mindestens
zweierlei Maß gemessen.
Rückblende, Freitagabend, Ligaspiel Hoffenheim gegen Bayer
Leverkusen. Das auf fremden Plätzen gerne mehr oder weniger liebevoll als Die
Pillen bezeichnete Team führt 1:0, als der vieldiskutierte Stefan Kießling aufs
Tor köpft. Erfahrener Torjäger, der er ist, sieht er der Flugkurve des Balls
an: Das war wohl nichts. Schlägt, enttäuscht darüber, seine Hände vors Gesicht
und dreht sich vom Tor weg. In dem liegt Sekunden später, unbestritten zur allgemeinen
Verwunderung (nicht nur Torjäger ziehen gerne mal Rückschlüsse aus der
Flugkurve), der Ball. Kurze Irritation bei den Spielern beider Mannschaften,
wie genau ist denn das passiert? Automatisierte Reaktion beim Anblick eines Balles
hinter der Torlinie: Jubel, Umarmung, Tusch – und ab.
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Leverkusens Torjäger Stefan Kießling. (Foto: Johann Schwarz CC 2.0) |
Wovon genau soll ich denn als Fußballer in einem Moment,
in dem der Ball sich klar hinter der Linie befindet, in dem auch der
Schiedsrichter nicht eingreift und der Torwart nicht protestiert, ausgehen, als
davon, dass dieser Ball offenbar im letzten Moment einen ganz seltsamen Schlenker
hingelegt hat – und irgendwie doch da oben ins Eck reingegangen ist? Davon, dass etwas mit dem Tor nicht stimmt, ganz ernsthaft? Davon, das Netz könnte kaputt sein – darüber soll sich ein Spieler in dem Moment Gedanken machen? Und was
für eine bodenlose Arroganz liegt eigentlich vor, wenn nun eine fast geschlossene Fanrepublik, unterstützt von einer Vielzahl der Sportjournalisten, hergeht und
behauptet, man hätte in der Situation ganz eindeutig sehen müssen, dass der Ball nicht im Tor war? Noch dazu, wo er eben doch im Tor lag, nur eben nicht auf regulärem Wege hinein gekommen war.
Unsinn, oder auch: Ich lach’ mich kaputt! Wie viele Fans, Journalisten oder Spieler haben
schon zu früh in der Annahme eines Tores gejubelt und dann entsetzt
feststellen müssen, der vermeintlich im Netz zappelnde Ball hat eben dieses nur
von außen getroffen? Wie oft hat man sich im Stadion schon ungläubig die Augen gerieben und dem Blocknachbarn zugemurmelt, „Ich dachte im Leben nicht,
dass der reingeht, so wie fliegt“, wie oft drei
Fernsehwiederholungen aus verschiedenen Perspektiven gebraucht, um später halbwegs zu
glauben, was im Stadion absolut unwahrscheinlich schien?
Und stimmt, Fans sind weder Spieler noch Schiedsrichter.
Stimmt auch, von denen darf mit gutem Grund in gewissen Situationen ein Mehr an
Spielverständnis erwartet werden – aber mal darüber nachgedacht, mit welcher
Geschwindigkeit so ein Ball in das Tor oder am Tor vorbei saust? Und eventuell
mal in Erwägung gezogen, dass es für die Beurteilung durch den Schiri einen gewaltigen Unterschied macht, ob er sagen muss, der Ball war oder war nicht hinter
der Torlinie – eine Sachlage, die zu beurteilen er trainiert und auf die er
vorbereitet ist – oder ob er entscheiden soll, ob ein Ball auf irregulärem Weg
ins Tor gelangt ist, eine Entscheidung also, die zu treffen er überhaupt nicht
erwartet?
Noch schlimmer ist das Gekreische gegen Stefan Kießling, und ein trauriges Beispiel für Doppelmoral dazu. Nicht nur, dass bis Freitag eine
halbe Fußballnation nicht müde wurde, den Leverkusener zu feiern und für die
Nationalmannschaft zu fordern, um seinetwillen gerne mal die Fähigkeiten des
Bundestrainers in Zweifel zog und einen auf Dauerentrüstung machte, nein.
Angeblich im Dienste der Fairness, die der Stürmer, so der Vorwurf, in dieser
Situation nicht habe walten lassen, wird er aufs Übelste attackiert, sieht
sich in weiten Teilen unreflektierten Vorwürfen ausgesetzt und muss sich, wie
das im Netz offenbar für viele Leute dazu gehört, heftig und absolut unfair (!)
beschimpfen lassen.
Völlig unbesehen der Entscheidung, ob das Tor am Ende zählt oder nicht (ich finde übrigens ja, weil es eine Tatsachenentscheidung ist, die – genau wie
ein gegebenes Abseitstor – zwar schmerzt, aber aktuell zum Fußball wie wir ihn kennen eben noch dazu
gehört), ob das Spiel wiederholt wird oder nicht und wie am Ende die
Entscheidung der Sportgerichtsbarkeit aussehen wird: Die Keulen, die seit
diesem Spiel gegen Stefan Kießling geschwungen werden, sind vollkommen
überzogen.
Wenn es tatsächlich darum geht, eine Diskussion zu führen über Fairness im Fußball (die begrüße ich sofort!), gibt es nun wirklich ganz andere Themen- und Problemfelder, die angesprochen werden müssten, von Rassismus über Homophobie in den Fanlagern hin zu Schwalbenkönigen und Dauerfoulern auf dem Feld. Sich in Sachen Fairness im Fußball nun ausgerechnet an einem stets so feinen Sportsmann wie Stefan Kießling abzuarbeiten, ist lächerlich und nicht gerechtfertigt.
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Wenn es tatsächlich darum geht, eine Diskussion zu führen über Fairness im Fußball (die begrüße ich sofort!), gibt es nun wirklich ganz andere Themen- und Problemfelder, die angesprochen werden müssten, von Rassismus über Homophobie in den Fanlagern hin zu Schwalbenkönigen und Dauerfoulern auf dem Feld. Sich in Sachen Fairness im Fußball nun ausgerechnet an einem stets so feinen Sportsmann wie Stefan Kießling abzuarbeiten, ist lächerlich und nicht gerechtfertigt.
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