Samstag, 31. März 2007

Hammerherz


Manchmal, wenn ich nachts durch die Straßen meiner Stadt wandere, gesellt sich die Einsamkeit zu mir, in einem bizarren Kleidchen. Und plötzlich komme ich nicht umhin, nachzudenken über den Teil meines Herzens, der alleine bleiben wird, solange ich mich – außer an mir selbst – nicht auch wieder an einem wir wohlfühle.

„Raise your hands if you got your heart broken“, erinnere ich, während ich mit Musik auf den Ohren und Unruhe im Herzen durch die dunkle Frühjahrsnacht stolpere. Auch meine Hand hat da gezuckt und meine Lippen die Worte, „ja, vom Leben“, ausgespuckt, ohne dass ich zuvor darüber nachgedacht hatte. „Life, it was you who broke my heart the most“, summte ich auf die Melodie eines alten Johnny Cash Songs. Das Leben. Die Menschen. Der Mann. Angeknackst und wundgeprügelt, den fleischroten, von der Liebe durchflackerten Muskel.

Als ich mich von dem Einen trennte, der den meisten Schaden angerichtet hat, dort unten, wo es gleich dem Schlag eines wilden Hammers wummert und pocht, habe ich vielleicht geahnt, es könnte länger dauern, diesmal, bis sich die Riegel zum Tor meines Herzens wieder aus den Scharnieren hieven lassen. Weil eine Tür, die derart klemmt, Widerstand leistet, beim nächsten Versuch, sie zu öffnen. Kummer aber hat mir diese Vorahnung nicht bereitet – weil weder ich noch mein Herz Eile verspürten dabei, dies Tor wieder aufschwingen zu lassen.

Die Sehnsucht nach der einen Form von Zweisamkeit und Nähe, wie sie nur der Beziehung mit unserem Liebsten entspringt, ist natürlicher Teil unserer Seelen. Weder eine eigene schlechte Erfahrung, noch ein abschreckendes Vorbild, zwei Menschen, die sich in ihrer Liebe vor unseren Augen gegenseitig langsam und quälend zerstört haben, wird daran etwas ändern, denn das Sehnen nistet sich schon früh sicher in einer tiefen Falte unseres Herzens ein. Und nichts, was der kluge Kopf gegen diese Unvernunft zu sagen hat, wird daran je etwas ändern; muss es auch nicht.

Zumindest, solange wir unserer Sehnsucht nicht blind nachrennen, sondern ihr mit ein wenig Bedacht folgen. Uns nicht in ihr verlieren, am Wunsch, uns durch die Liebe eines anderen neu erfinden zu lassen. Und dem Glück, das die Sehnsucht mit leichter Hand führt, weder verzweifelt hinterherjagen, noch ihm verbittert den Rücken zuwenden. Vor allem aber: Die eine Beziehung, nach der wir streben, nicht als Wundermittel ansehen, das alte Probleme ganz von selbst löst, den neuen Partner nicht zu einem strahlenden Retter stilisieren, der unser Leben schlagartig zum Besseren verändern wird.

Denn – natürlich verzaubert uns eine neue Liebe mit aller Macht und beflügeln uns ihre Momenten reinen Glücks, gemeinsam mit einem sanften Hauch wohliger Einbildung, den wir uns im Rausch der wild aufflammenden Gefühle gerne genehmigen. Doch weder dieser Zauber noch unsere Einbildung sind von ewiger Dauer. Was aber bleibt, wenn die beiden sich durch die Hintertür der nun nicht mehr ganz so frisch verliebten Seele davongeschlichen haben?

Ganz schlicht: Was zuvor da gewesen ist. Der tiefe Kern aus dem er und die ganze Wahrheit über das sie, welche da unvermutet und heftig zusammengebracht wurden. Wenn der frühe Zauber einer aufkeimenden Liebe verflogen ist und der erste Lack an der neuen Beziehung abgescheuert, bleibt zurück, was vor der Liebe schon da war. Zwei Partner mit unterschiedlichsten Lebensläufen und ureigenen Bedürfnissen, mit verschiedenen Beweggründen, diese Zweisamkeit eingegangen zu sein. Zwei Menschen mit all ihren Hoffnungen und Sehnsüchten, menschlichen Macken und zauberhaften Seiten.

Jeder alte Traum und jede neue Angst, jedes gute Gefühl und jeder schlechte Gedanke ist dann in zwei unterschiedlichen Ausführungen vorhanden, die zuvor meist schon für sich nicht immer rund liefen, nun aber plötzlich gemeinsam funktionieren sollen – und zwar besser, als zuvor alleine. Und das ohne, dass die beiden Teile des neuen Ganzen wenigstens eine der beiden nun verwobenen Hälften wirklich gut kennen würden – nämlich ihre eigene. So steht man also nicht anders da als vor dem Liebesrausch auch, nur eben nun zu zweit.

Deswegen ist es auch nie so, dass einem der eine Partner fehlt, mit dem es dann urplötzlich wieder voranginge – und das allein deshalb nicht, weil eine Beziehung, mit diesem Ansinnen eingegangen, nie auf Dauer funktionieren wird. Vielmehr fehlt uns häufig ein ehrlicher Blick auf uns selbst, und der Mut, die Phasen, in denen wir ohne ein PlusEins unterwegs sind, auszuschöpfen – um zu erspüren, was wir wirklich wollen. Vom Leben, unserer Zukunft, aber auch: einer neuen Partnerschaft. Die sicher kommen wird, mit der Zeit – und deren Chancen auf ein dauerhaftes Glück so viel besser stehen, wenn beide Partner sie mit einer Ahnung davon beginnen, was es ist, das sie sich vom Anderen wünschen; und von ihrem Leben.

Doch statt die Zeit mit uns selbst zu nutzen, verschwenden wir sie oft damit, einer Sache hinterherzurennen, die wir gar nicht zu suchen brauchen – der Liebe. Diese aber lässt sich von uns nicht bezähmen und einfangen, genauso wenig wie ausschließen und ignorieren – sondern wird auf ihrem Weg durch die Herzen der Menschen immer diejenigen finden, deren Sehnen nicht mehr kühl von der Angst vor Einsamkeit angetrieben wird, sondern deren Seele auf ihrer ewigen Wanderung wieder bereit ist, sich sanft berühren zu lassen durch die Begegnung mit einem anderen Menschen.

Auch meine Seele hat schon einen weiten Weg zurückgelegt auf dem Pfad, der mich durch dieses Leben führt – und mich dabei sicher bis hierher gebracht. In eine Zeit, die mir zwar auf meinem Weg durch die dunklen Nächte meiner Stadt manches Mal die Fratze der Einsamkeit in den Wipfeln der Kastanienbäume erscheinen lässt, in der zugleich aber mein wildes Hammerherz von einer wärmende Zuversicht erfüllt ist, die uns beiden den Weg leuchtet.

Auf dem auch meine Wunden heilen werden, auch meine Seele andächtig innehalten – und mein mutiges Herz sich wieder berühren lassen wird, in seiner tiefsten Falte. In einem Moment, von dem ich noch nichts weiß, außer, dass es ihn gibt – irgendwo da draußen.

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