Als im September 2009 Patrick Swayze starb, erfuhr ich die Nachricht beim Fernsehen im Newsticker – und erinnerte mein Bedauern. Swayzes Krankheit war zuvor in den Medien oft Thema gewesen. Sein einst scheinbar vertrautes Gesicht dem eines vom Krebs gezeichneten Mannes gewichen. Und als ich mich tags darauf bei Facebook tummelte, setzte ich zum ersten Mal die Buchstaben RIP – Rest in Peace in meine Statusmeldung, um meiner Anteilnahme Ausdruck zu verleihen.
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Sterben 2.0: Remembering Whitney – soziales Vermissen. Foto: Screenshot |
Heuchler, Spießer, Besserwisser
Ich weiß nicht, wie viele Menschen an jenem Septembertag 2009 sinnlos ihr Leben verloren haben. Opfer von Unfällen, Hunger, Gewalt oder Willkür wurden. Genauso wenig weiß ich das über jenen Oktobertag im Jahr 1991. Was ich aber ziemlich sicher weiß ist: Die Anzahl der Facebook-Postings, in denen Menschen sich im Netz an Swayze erinnern, vermag daran nichts zu ändern.
Soziale Netzwerke wie Facebook haben unsere Kommunikation verändert. Einige Aspekte daran sind positiv, andere negativ: Die Diskussion ist hinlänglich bekannt, sie wird sich weiter entwickeln und verändern – und das ist auch sinnvoll. Aber der Spaß hört natürlich sofort auf, wenn der Tod ins Spiel kommt, und wird durch eine Verbissenheit und moraline Entrüstung ersetzt, die ich scheinheilig finde.
Worum geht es eigentlich?
Ausgangspunkt ist der Tod eines Prominenten. Es folgt die mediale Verbreitung dieser Neuigkeit durch klassische Medien sowie User von sozialen Netzwerken: Nachrufe im Feuilleton – wie gerade bei Whitney Houston –, Verlinkung von Videos, Fotos und Archivartikeln, persönliche Erinnerungen an Erlebnisse rund um sowie mehr oder weniger mit dem Prominenten, Beileidsbekundungen auf dessen Facebook-Wall.
Dann setzt auch schon die Gegenbewegung ein. Angeführt häufig von Usern, die dem verblichenen Promi nichts abgewinnen können – weshalb die Hysterie um seinen Tod natürlich voll peinlich ist. Weitergetrieben von denen, die sowieso alles schlecht finden, was in sozialen Netzwerken passiert (warum sie sich hier dennoch tummeln, bleibt auf ewig ihr Geheimnis). Schließlich schwingt die Keule der Moralapostel über all jene hinweg, die ins kollektive Klagen eingefallen sind, denn: In Afrika hungern Kinder. Unbestreitbare Tatsache. Schreckliche Tatsache. Tatsache, mit der wir alle uns viel zu wenig auseinandersetzen. Es aber genau hier genau so zu tun – ist schlicht Bigotterie.
Leben und sterben lassen
Ich bin gegen Massenhysterie. Neige nicht zur blinden Bewunderung. Halte nichts von Star-Rummel. Und mit kollektivem Irgendwas kann ich wenig anfangen. Ich trauere nicht um Whitney Houston, weil sie mich zu Lebzeiten nicht interessiert hat – trotzdem lässt mich die Nachricht über einen solchen Tod nicht kalt. Es hat seit Roy Black natürlich ungezählte prominente Todesfälle gegeben. Mit einigen habe ich mich auseinandergesetzt, indem ich darüber geschrieben habe (Robert Enke). Viele sind mir kaum im Bewusstsein haften geblieben (äh…). Wieder andere habe ich auf Facebook geteilt (Gil Scott-Heron). Und dann gibt es noch solche, bei denen mir meine Tränen heute ein bisschen peinlich sind (sorry, Roy).
Sich aus einer Art Reflex heraus zum Tode jedes Prominenten zu äußern ist mir fremd, ich empfinde es aber als anmaßend, das bei anderen zu verurteilen. Weil ich den Schaden nicht erkenne, der dabei entstehen soll – und anderen wiederum fremd sein mag, was ich im Netzwerk teile. Womit wir bei der Frage wären, was genau eigentlich die aufgeregten Moralapostel tun oder posten, wodurch es den hungernden Kindern in Afrika besser geht? Den gewaltsam Unterdrückten in Syrien? Den sozial Benachteiligten vor ihrer eigenen Haustür?
Inwiefern unterscheidet sich ihr Belehrungs-Reflex vom Beileids-Reflex derer, über die sie sich erheben? Anders gefragt, macht es uns etwa zu besseren Menschen, den Tod Einzelner, wenn sie denn bekannt sind, grundsätzlich an uns abprallen zu lassen? Und steht nicht jeder prominente Todesfall, der uns berührt, letztlich im Kontext zu unserem eigenen Leben, unseren Gefühlen – was ist so schlimm daran, denen hier Ausdruck zu verleihen? Ist es nicht vielmehr naiv zu glauben, ausgerechnet der Tod, mit dessen Umgang wir als Einzelne ebenso wie als Gesellschaft oft derart ringen, werde in den sozialen Netzwerken auf wundersame Weise nicht stattfinden?
Dass dabei danebengehauen, übertrieben und sich gegenseitig auf die Nerven gegangen wird, sind keine Alleinstellungsmerkmale. Ich habe auch nicht das Bedürfnis, täglich darauf hingewiesen zu werden, wer welche Farmville-Kuh sucht. Wer andersherum keinesfalls mit Spieleanfragen belästigt werden möchte. Die neuen Umfragewerte der Hornochsen-Partei zum Wiehern findet. Oder ein spuckhässliches Kind bekommen hat. Der Charme der sozialen Netzwerke und ihre Penetranz liegen ganz nah beieinander: Wie bei so vielen Dingen im Leben. Die meisten davon verschwinden nur leider nicht vorübergehen, wenn ich den Rechner abschalte. Vorteil Facebook. RIP, Whitney.
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